“Zukunftsprogramm Landwirtschaft” in der Kritik

Fachgruppe OBSTBAU
772

Unwissenschaftlich, unausgegoren und untauglich - mit diesen klaren Worten kommentiert der Industrieverband Agrar e.V. (IVA) die “Diskussionsgrundlage für die Erarbeitung eines Zukunftsprogramms Pflanzenschutz”. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hatte kürzlich zahlreiche Interessenvertretungen der Branche zur Stellungnahme aufgefordert.

Der IVA kritisiert insbesondere, dass trotz der dort aufgeführten Vielzahl von Einzelmaßnahmen und Vorschlägen die tatsächlichen Zukunftsfragen des Pflanzenbaus nicht angesprochen werden. Aus Sicht der Interessenvertretung der Pflanzenschutzmittelindustrie gibt das BMEL-Diskussionspapier keinerlei Antwort auf die Frage, wie, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, der Ernteschutz langfristig mit innovativen Produkten (risikoreduzierte Wirkstoffe, moderne Züchtung, Precision Farming und Digitalisierung) in Deutschland zu sichern ist.
Weiterhin bleibe offen, wie das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel schneller, effizienter und vor allem innovationsfreundlicher werden kann, um den Produzenten langfristig und zukunftsorientiert einen breiten Werkzeugkasten für innovativen Pflanzenschutz zur Verfügung zu stellen.

Keine Honorierung bisheriger Anstrengungen
Aus Sicht des IVA ist der rasante Verlust an Wirkstoffen durch verschärfte Zulassungsanforderungen eine der zentralen Zukunftsfragen im Pflanzenschutz. Im Zukunftsprogramm suche man aber vergeblich nach konkreten Lösungswegen. So bleibe beispielsweise offen, wie Indikationslücken geschlossen werden können, damit der Anbau in Deutschland gehalten werde. Die erheblichen Erfolge, die in Deutschland bei der nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln erzielt wurden, werden in dem Papier gar nicht berücksichtigt. Das Programm formuliere hingegen neue Reduktionsvorgaben, ohne plausibel zu machen, welchen Beitrag zur Erreichung welcher Ziele diese leisten sollen.

Produzenten sind die Leidtragenden
Wenn die Pläne des BMEL in der vorliegenden Form umgesetzt, würde dies laut IVA deutlich zu Lasten der deutschen Anbauer gehen: “Als sich im November 2023 abzeichnete, dass keine EU-Verordnung für ein harmonisiertes Reduktionsprogramm gelingen wird, warnten wir schon vor einem europäischen Flickenteppich nationaler Programme“, kommentierte IVA-Präsident Michael Wagner die aktuellen Pläne des BMEL. Diese Befürchtung scheine sich nun zu bewahrheiten. Obwohl in Deutschland die Vorgaben der EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie 2009/128 ambitionierter umgesetzt wurden als in den meisten anderen Mitgliedsstaaten, bestehe die Gefahr, dass das BMEL-Zukunftsprogramm zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen führen werde.

NGO‘s sehen das ganz anders…
In einem offenen Brief an den Bundes-Agrarminister kritisierten 14 NGO‘s und Verbände wie Bioland e.V., Biopark e.V., Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL), Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Demeter, Deutsche Umwelthilfe, Deutscher Naturschutzring e.V., Naturland, Naturschutzbund (NABU), Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), Slow Food Deutschland, Umweltinstitut München e. V. und WWF Deutschland hingegen, dass die bisherigen Bemühungen um eine „Pestizidreduktion“ nicht ausreichend seien. „Nutzen Sie die verbleibende Zeit dieser Legislaturperiode und ergreifen Sie verbindliche, erreichbare und messbare Maßnahmen, um die notwendige Reduktion von chemisch-synthetischen Pestiziden zum Wohle der Landwirtschaft, der Bevölkerung und unserer Umwelt umzusetzen! Unterlegen Sie die Pestizidreduktionsziele mit wirksamen Maßnahmen, mit einer Priorisierung von Vorhaben, die noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können. Sorgen Sie für eine ausreichende Finanzierung!“, fordern die Bündnispartner in einem gemeinsamen Statement. Dies sei umso wichtiger, da zurzeit die EU-Agrarpolitik von Bemühungen zu einem „Rollback der Umweltstandards“ geprägt sei. Die Unterzeichner des Briefes sprechen sich darin für die Einführung einer Pestizidabgabe aus, die ohne bürokratischen Aufwand für Betriebe Gelder für deren Unterstützung generieren kann. Das Bündnis kritisiert in dem Brief explizit, dass aus dem Namen „Pestizid-Reduktionsprogramm” vom November 2022 mittlerweile das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ geworden sei. Damit sei das Programm nun „nicht mehr nach dem Zweck benannt, dem es eigentlich dienen solle“. Für die Bündnispartner sei dies ein „Warnsignal“. Sie appellierten deshalb an Cem Özdemir, dem „falschen Narrativ, dass Pestizide die Welt ernähren und Umweltschutzauflagen die Betriebe gefährden entschlossener entgegenzuwirken“.
Das „Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“ bewertet in einer zusätzlichen Stellungnahme das Papier im Grundsatz als positiv, denn das Ziel, dass „Pestizide“ reduziert werden müssen, gelte weiterhin. Es bleibe jedoch viel zu vage, denn es gebe so gut wie keine konkreten Zeitvorgaben und viele „wichtige und dringende Maßnahmen“ sollen lediglich geprüft werden. Auch bleibe weitgehend unklar, wie diese Maßnahmen finanziert werden sollen. Das „Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“ fordert das BMEL dazu auf „gerade jetzt Mut und Haltung beweisen, offen zum Reduktionsziel stehen und konkret aufzeigen, wie die dringend notwendige Transformation der Landwirtschaft existenzsichernd für alle Bäuerinnen und Bauern gelingen kann“.

Pauschale Reduktion nicht umsetzbar
„Zu wenig Zukunft im Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ titelt auch der Zentralverband Gartenbau in seiner Stellungnahme zum Diskussionspapier. Bertram Fleischer, Generalsekretär des ZVG, bekräftigte darin, dass der Gartenbau grundsätzlich das Ziel unterstützt, das Risiko und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu mindern. In allen Sparten werde intensiv daran gearbeitet und es wurden bereits deutliche Erfolge erzielt.
Einer pauschalen Reduktion um 50 % bei allen Mitteln bis 2030, wie sie von den NGOs gefordert wird, erteilte er hingegen eine deutliche Absage. Denn dies würde den Gartenbau mit all seinen Sonderkulturen vor nicht bewältigbare Probleme stellen. Praktisch würden einfach nicht mehr ausreichend Wirkstoffe zur Verfügung stehen, um Resistenzstrategien wirkungsvoll umzusetzen. Schon jetzt gebe es zahlreiche Indikationslücken. Er mahnte, dass zukünftige Pflanzenschutz-Probleme, die aktuell durch den Klimawandel weiter befeuert werden, mit biologischen Mitteln alleine nicht ausreichend beherrschbar sein werden. Der ZVG erwartet vom Zukunftsprogramm Pflanzenschutz deshalb u.a. auch deutliche Verbesserungen im Zulassungsverfahren. Relevante Punkte dazu wurden bereits im „Maßnahmenpaket Zukunft Gartenbau“ vorgelegt.“

Intensiv in den Beteiligungsprozess einbringen
Auf Ablehnung stößt beim ZVG der Plan, über das Pflanzenschutzrecht Vorgaben von Rückzugsflächen für Biodiversität festzulegen - auch nicht als Voraussetzung für die Anwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel. Hier müsse der Berufsstand in der Entscheidungsfindung mitgenommen werden, z.B. durch das Setzen von Förderanreizen. Und auch eine Pflanzenschutzabgabe lehnt der ZVG im Gegensatz zu den NGO’s ab. Denn in den Sonderkulturen wird dies keine Lenkungswirkung entfalten, sondern nur die Kosten noch weiter nach oben treiben.
Bertram Fleischer machte deutlich, dass sich der Berufsstand intensiv in den Beteiligungsprozess einbringen werde.

Zum Nachlesen: Der Entwurf des BMEL zum „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild!
https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Landwirtschaft/Pflanzenbau/Pflanzenschutz/diskussionsgrundlage-zukunftsprogramm-pflanzenschutz.html

Über den Autor

Quelle: Fachgruppe Obstbau

News & Infos

News & Infos

WAPA: Europäische Apfelbestände um 7 % zugenommen

Aktuelle Zahlen der WAPA (World Apple and Pear Association) zeigen, dass die Apfelbestände in der EU im Vergleich zum Vorjahr 2023 um 7 % auf 715.578 Tonnen zugenommen haben. Die Birnenbestände sind sogar um 31,1 % auf 71.273 Tonnen gestiegen. Die WAPA veröffentlichte die Zahlen zu den Apfel- und Birnenbeständen in der EU immer zum 1. Juni 2024.

Fachgruppe OBSTBAU
392
News & Infos

Schülerzahl an Fachschulen für Grüne Berufe sinkt erneut

Im Jahr 2023 sank die Schülerzahl an den ein- und zweijährigen Fachschulen gegenüber dem Vorjahr um 161. Damit setzt sich der rückläufige Trend der vergangenen Jahre fort.

Fachgruppe OBSTBAU
387
News & Infos

Japankäfer: gefährlicher Pflanzenschädling im deutschen Grenzgebiet

Der meldepflichtigen Japankäfer (Popillia japonica) wurde in Basel - und damit in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze gesichtet. Die Europäische Union stuft den Japankäfer als so genannten „prioritären Quarantäneschädling“ ein, dessen Auftreten durch jedermann meldepflichtig ist.

JKI
467
News & Infos

EU-Hilfen bei Frostschäden auch für deutsche Betriebe?

Die EU-Kommission hatte in dieser Woche Krisenhilfen aus der Agrarreserve für Österreich, Tschechien und Polen in Höhe von 62 Millionen Euro in Aussicht gestellt, um die dortigen Ertragsausfälle durch Frost- und Hagel in Obst-, Gemüse- und Weinbaubetrieben zu kompensieren – ohne Deutschland in die Hilfsmaßnahme einzubeziehen.

BMEL
269
News & Infos

Der Bundesrat stimmt neuem Düngegesetz nicht zu

Der Bundesrat hat in seiner Plenarsitzung am 5. Juli 2024 dem zweiten Gesetz zur Änderung des Düngegesetzes die Zustimmung verweigert. Das Gesetz sollte unter anderem die Grundlagen für die Nährstoffbilanzverordnung und die Monitoringverordnung bilden.

Fachgruppe OBSTBAU
182
News & Infos

200 Jahre gelebte Gegenseitigkeit

Unter dem Motto „200 Jahre gelebte Gegenseitigkeit“ stand der Festakt zum Jubiläum der Vereinigten Hagelversicherung, der Mitte Mai in Gießen begangen wurde.

Daniel Rittershaus
724
News & Infos

Witterungsbedingte Ernteeinbußen bei Süßkirschen

Die Süßkirschensaison startete dieses Jahr drei Wochen früher als 2023 und im Vergleich zum Langjährigen Mittel.

Lisa Buddrus
733
News & Infos

Umfrage zur Öffentlichkeitsarbeit für den deutschen Obstbau

Auf der Delegiertentagung im November 2023 haben die Vertreter der Landesverbände in der Bundesfachgruppe Obstbau und der AG Öffentlichkeitsarbeit ein neues, zukunftsweisendes Konzept für die Öffentlichkeitskampagne für deutsches Obst beschlossen.

Joerg Hilbers
772
News & Infos

Neue QS-Arbeitshilfe „Abdriftvermeidung“

Auswertungen aus dem QS-Rückstandsmonitoring belegen: QS-zertifizierte Erzeuger von Obst, Gemüse und Kartoffeln arbeiten bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sehr sorgfältig. Dennoch kommt es trotz durchgängig guter fachlicher Praxis vor, dass Produkte aufgrund vorliegender Analyseergebnisse von QS beanstandet werden müssen.

Dr. Annette Förschler
668
News & Infos

Machen Sie mit: Die Hummel-Challenge vom 20. Juni bis 3. Juli 2024

Die Hummel-Challenge findet einmal im Frühjahr und einmal im Sommer statt. Während im Frühjahr vor allem Hummel-Königinnen erfasst werden, geht es nun im Sommer, vom 20. Juni bis 3. Juli, darum, möglichst viele verschiedene Hummeln auf unterschiedlichen Pflanzen zu fotografieren.

Fachgruppe OBSTBAU
620
News & Infos

Glyphosat: Anwendungseinschränkungen bleiben bestehen

Der Bundesrat hat am 14. Juni 2024 einer erneuten Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung (PflSchAnwVO) zugestimmt. Sie wird ab dem 1. Juli 2024 gelten. Damit gibt es für Anbauer zwar nun Rechtssicherheit – aber die Bundesfachgruppe Obstbau fordert weiterhin mit allem Nachdruck eine Aufhebung des fachlich nicht zu begründenden Anwendungsverbotes für Glyphosat in Wasserschutzgebieten.

Fachgruppe OBSTBAU
581
News & Infos

Pflanzenschutz zukunftsfest machen statt Rückbauprogramm für die Landwirtschaft

Anlässlich der Befragung der Bundesregierung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages am 12.06.2024 appellieren 30 Verbände der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), die Vorschläge für ein „Zukunftsprogramm“ Pflanzenschutz zurückzuziehen.

Fachgruppe OBSTBAU
245
Anzeige