Was plant die neue Bundesregierung?

top agrar-Veranstaltung „Landwirtschaft im Dialog“ mit Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer

Dr. Annette Urbanietz
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Die top agrar-Veranstaltung „Landwirtschaft im Dialog – Was plant die neue Bundesregierung“ am 2. Juni in Berlin traf auf großes Interesse.

Der Saal war voll und auch das Angebot, der Veranstaltung online beizuwohnen, wurde rege genutzt. Für Joerg Hilbers, Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Obstbau, bot sich hier eine gute Gelegenheit, auf die Sorgen und Nöte des Berufsstandes hinzuweisen, insbesondere auf die Notwendigkeit einer Sonderregelung für Saisonarbeit beim Mindestlohn.

Nicht immer noch eine Schippe draufsetzen
In seinem Eingangsstatement betonte Alois Rainer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Heimat, wie wichtig ihm die Land- und Ernährungswirtschaft sei und er insbesondere die Menschen hinter dem Produkt im Fokus habe. Das neue Landwirtschaftsministerium stehe für innovative Techniken und Nachhaltigkeit und wolle die Landwirte dabei unterstützen, Lebensmittel von höchster Qualität zu produzieren. Im Sinne der Versorgungssicherheit für die Bevölkerung habe der Minister es sich auf die Fahnen geschrieben, die Höfe zu stärken und ihnen gute Wirtschaftsperspektiven zu bieten, auch vor dem Hintergrund, dass die junge Generation die Betriebsnachfolge wieder als Chance und nicht als Bürde begreife. Unternehmerisches Handeln solle gefördert und unnötige Bürokratie abgebaut werden. So wolle er die Agrardieselrückvergütung schnellstmöglich wieder einführen und sich gezielt für mehr Tierwohl einsetzen. „Wir müssen die Themen immer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, bevor Entscheidungen getroffen werden“, verdeutlichte er. „Sie müssen praktikabel sein und sich an der Lebenswirklichkeit orientieren. Dabei wollen wir auf Vertrauen setzen und nicht alles bis ins kleinste Detail regeln.“

Beim Thema Gemeinsame Agrarpolitik sieht er sich auf einer Wellenlänge mit Agrarkommissar Hansen. Es brauche eine GAP, die sich an der Realität auf den Höfen orientiert, dabei dürfe die Aufteilung in die beiden Säulen nicht verloren gehen. Leistungen, die die Landwirte für das Gemeinwohl erbringen, sei es für das Klima oder für die Umwelt, müssten honoriert werden.

Die Bundesregierung wolle die Ermessensspielräume, die die Rahmenbedingungen der EU bieten, zukünftig ausnutzen, statt auf Bundesebene immer noch „eine Schippe draufzusetzen“. Der Wirtschaftsstandort Deutschland müsse gestärkt werden hin zu einer offenen, international orientierten und exportaffinen Volkswirtschaft.

Wie groß ist der Gestaltungsspielraum wirklich?
Im Gespräch mit der FAZ-Redakteurin Anne Kokenbrink klopfte Moderator
Guido Höner im Vorfeld der anschließenden Diskussionsrunde schonmal die Rahmenbedingungen ab. Die Journalistin erwartet von der neuen Bundesregierung keine 180-Grad-Wende in der Agrarpolitik. Denn auch wenn Minister Rainer in seiner Rede einige wirklich relevante Punkte angesprochen habe, sei sein wirklicher Gestaltungsspielraum nicht so groß, wie viele denken. Denn einerseits werde dieser eingeschränkt durch die Rahmenbedingungen, die von der EU vorgegeben werden. Und zum anderen würden viele Projekte letztlich an deren Finanzierbarkeit scheitern. Die Wiedereinführung der Agrardieselsteuer-Rückerstattung bezeichnete sie in diesem Zusammenhang als „Beruhigungspille“. Die Frage sei auch, wie gut das BMELH mit dem BMU zusammenarbeiten werde, das ja SPD-geführt ist. Insbesondere die Personalie Jochen Flasbarth als Staatssekretär sieht Anne Kokenbrink als kommendes Spannungsfeld, denn der ehemalige Präsident des Umweltbundesamtes hatte dieses Amt bereits von 2013 bis 2021 inne.

Stärkung der heimischen Produktion – aber wie?
In der anschließenden Diskussionsrunde zum Thema Versorgungssicherheit diskutierten mit Dr. Franziska Kersten, Agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, und Johannes Steiniger, Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, die Sanddornproduzentin Dorothee Berger als Vorsitzende von pro agro, dem Verband zur Förderung des ländlichen Raums in der Region Brandenburg-Berlin, Joerg Hilbers, Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Obstbau, und Jan Schleicher, der sich bei REWE Ost um alle Themen rund um Ware, Sortiment, Listungen und Preise kümmert.

Dorothee Berger machte anfangs deutlich, dass deutsche Produzenten aktuell in einem wirklichen Zwiespalt steckten, denn einerseits fordert der Verbraucher qualitativ hochwertige, sichere und möglichst regional produzierte Lebensmittel, aber auf der anderen Seite sind die Rahmenbedingungen aktuell so ungünstig, dass die deutschen Produzenten in der Konkurrenz mit ausländischer Importware häufig nicht wettbewerbsfähig sind. Hier erfordere es ein besonderes Marketing, damit der Verbraucher bereit sei, die Produktionskosten-bedingt höheren Preise zu zahlen. Denn, dessen müsse man sich bewusst sein, der Preis habe noch nie eine größere Rolle bei der Kaufentscheidung gespielt als jetzt, wie Jan Schleicher als Vertreter des LEH bestätigte. Joerg Hilbers zeigte anhand des Beispiels Süßkirsche, was diese Situation konkret bedeutet: So habe in diesem Jahr einer der großen Discounter entschieden, ganz auf deutsche Süßkirschen zu verzichten und stattdessen die Früchte die ganze Saison hindurch aus der Türkei zu beziehen. Wenn der gesamte Handel so agieren würde, würde selbst der aktuelle Selbstversorgungsgrad von 20 % kaum weiter haltbar sein, verdeutlichte Joerg Hilbers.

Dabei will die Politik ja eigentlich den Selbstversorgungsgrad steigern, wie Johannes Steiniger betonte. „Versorgungssicherheit ist ein hohes Gut, das ist uns in den vergangenen Jahren sehr bewusst geworden. Wie können wir also die aktuellen Probleme in der landwirtschaftlichen Produktion lösen und Rahmenbedingungen schaffen, damit die Betriebe nicht mit der Produktion aufhören?“ Es gelte nun schnellstens zügig an den notwendigen Stellschrauben zu drehen. Hier sehe er die Kosten für Arbeit schon als wichtigen Ansatzpunkt; insbesondere im Bereich Saisonarbeit sei seiner Ansicht nach eine Ausnahmeregelung dringend notwendig. Seine Kollegin Dr. Franziska Kersten sah die Sache allerdings differenzierter und betonte, dass die SPD ja einen Mindestlohn von 15,– € versprochen habe – auch wenn sie zustimmte, dass die Saisonarbeitskräfte „schon ordentlich“ verdienen würden. Sie strebe vielmehr auf EU-Ebene eine Verankerung von Sozialstandards in der GAP an, damit es EU-weit zu einer Angleichung der Arbeitskosten komme.

Bio oder Regional – oder beides?
Stellt sich noch die Frage: Bio und/oder Regionalität? Jan Schleicher als Vertreter des LEH wollte natürlich am besten beides – denn die Nachfrage nach Bio-Produkten steige weiterhin, wobei die Tendenz klar weg vom Naturkostladen hin zum (günstigeren) Supermarkt bzw. Discounter gehe. Deshalb habe REWE nicht nur den Einkauf von Bio-Produkten, sondern auch den von regionalen Produkten immer stärker zentralisiert. Die Lebensmitteleinzelhandelskette biete immer dann regionale Ware an, wenn genügende große Mengen an Ware verfügbar sind. Aber trotzdem wolle man nicht darauf verzichten, parallel auch die günstigere Importware anzubieten – denn letztlich entscheide der Verbraucher über sein Kaufverhalten, was angeboten werde.

„Regionalität ist kein geschützter Begriff“, verdeutlichte Dr. Franziska Kersten. Dabei sei es offensichtlich, dass Produkte aus deutschem Anbau über besondere Qualität verfügen, auch im Bezug auf Pflanzenschutz. Die SPD-Politikerin stehe dabei voll hinter dem Einvernehmensstatus des UBA, das ihrer Meinung nach auch in den letzten Jahren keine einzige Zulassung eines Pflanzenschutzmittels verhindert hätte, nur sei es aufgrund der Prüfvorgänge zu Verzögerungen gekommen. Nach ihrer Vorstellung müsse man nun dafür sorgen, dass diese Qualität zum Standard erklärt werde und damit auch Importware über das gleiche Schutzniveau verfügen müsse. Nur sei das gar nicht so einfach, denn laut EU-Regeln dürfe man Ware nur dann zurückweisen, wenn ein gesundheitlicher Schaden zu befürchten sei – und das sei nur schwer nachweisbar. Dr. Franziska Kersten befürwortet deshalb die Fortführung des von der Vorgängerregierung angeschobenen Forschungsschwerpunkts für Bio-Anbau – davon würde letztlich auch der konventionelle Anbau profitieren – Bio stehe schließlich für bessere Biodiversität und sauberes Grundwasser…

Das Fazit
„Aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage müssen wir die Versorgungssicherheit in allen Bereichen steigern – aktuell sind wir zu stark abhängig von Importen“, verdeutlichte Johannes Steiniger den Standpunkt der CDU/CSU-Fraktion. „Deshalb müssen wir alles dafür tun, die landwirtschaftliche Produktion im Inland zu erhalten und sogar auszubauen.“

Aber was brauchen nun eigentlich die Produzenten, um die von Politik und Vermarktung eingeforderten regionalen Bio-Produkte überhaupt anbieten zu können? „Wenn wir die 20 % Eigenversorgung auch nur halten wollen, muss jetzt gehandelt werden“, forderte Joerg Hilbers und sprach sich nachdrücklich für eine Sonderregelung bei der Bezahlung von Saisonarbeitskräften sowie ein Umdenken im Pflanzenschutz hin zu einer ausschließlich wissenschaftsbasierten Entscheidungsfindung aus. Dorothee Berger als Bio-Sanddornproduzentin wünschte sich vor allem Verlässlichkeit in den Förderstrukturen und weniger Bürokratie. Aber generell sollte die Politik endlich davon Abstand nehmen, die einzelnen Produktionsrichtungen gegeneinander auszuspielen, betonte sie. Denn letztlich werde der Kunde über sein Kaufverhalten entscheiden, was produziert wird. Auch wenn von der REWE das Potenzial zu noch mehr Bio als hoch eingeschätzt werde: Zum Schluss müssen die Produzenten wirtschaftlich erfolgreich arbeiten können – egal ob Bio oder konventionell.

Über den Autor

Dr. Annette Urbanietz, Klein-Altendorf, E-Mail: urbanietz@obstbau.org

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