Farbintensive Sauerkirsche
Schmerzmittel und Schlafhelfer
Wer den Baum genauer betrachtet, erkennt sofort, dass Süß- und Sauerkirschen ganz unterschiedliche Arten sind.
Der Blick auf die Inhaltsstoffe
bestätigt dies erst auf den zweiten Blick. Immerhin die Namensgebung wird bestätigt: Süßkirschen haben ein Drittel mehr Zucker, aber nur halb so viel Säure wie Sauerkirschen. Als Heilpflanze dominiert allerdings eindeutig die Sauerkirsche.
Süßkirschen (Prunus avium) und Sauerkirschen (Prunus cerasus) zu vergleichen, ist nicht ganz so, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Immerhin sind beides Prunus-Arten, sogar derselben Untergattung. Aufgrund vielfacher Bastardisierung ist die genaue Abstammung der Sauerkirsche aber schwer festzulegen. Ihr genetischer Ursprung liegt in Zentral- und Kleinasien. Vermutlich handelt es sich um eine natürliche Hybridisierung von Süßkirsche und Zwerg- oder Steppenkirsche (Prunus fruticosa). Aufgrund mehrerer Varietäten umfasst der Begriff Sauerkirsche eine recht heterogene Sortengruppe mit hellem oder dunklem Saft, flachrund bis leicht oval, ausläuferbildend, gut und schlecht steinlöslich. Es gibt Gruppennamen wie Glaskirsche (Amarelle), Süßweichsel (Morelle) und Strauchsauerkirsche – dazu zählen Sorten wie ‘Kelleriis’ und ‘Schattenmorelle’.
Der Begriff „Weichsel“ steht erst seit dem 13. Jh. für Sauerkirschen, er stammt vom althochdeutschen wihsila bzw. mittelhochdeutschen wihsel. Die indogermanischen Wurzeln gehen auf den Begriff für den harzähnlichen Ausfluss („Gummi“) zurück. Der von Linné festgelegte Artname cerasus stand in der Antike allgemein für Kirsche, sodass sich die Nennung in historischen Schriften auch auf Süßkirschen beziehen kann. Wenn etwa der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jh. die Frucht kerasos (lateinisch: cerasus) als „gut dem Bauch“ und als Blutbildner empfahl. Oder wenn sein Zeitgenosse Plinius riet, frühmorgens taufrische Kirschen samt Steinen zu essen – dies sollte den Bauch dermaßen erleichtern, dass die Beine von Gicht verschont bleiben.
‘Schattenmorelle’ versus ‘Montmorency’
Die ersten Belege, bei denen es sich weiter westlich definitiv um Sauerkirschen handelt, stammen vom Ende des 10. Jh. aus Polen. Die erste eindeutige Benennung speziell der Sauerkirsche als heilwirksam stammt von Pietro Andrea Mattioli um 1550. Für Deutschland liegen ab 1500 Anbaubelege für Sauerkirschen vor.
In Großbritannien wurden um 1640 bereits 24 verschiedene Sorten beschrieben. Vor dem 2. Weltkrieg gab es dort gut 50 Sorten, später verengte sich das Anbauspektrum auf bestenfalls eine Handvoll.
Während im deutschsprachigen Raum immer noch die alte, hoch ertragreiche, ‘Schattenmorelle’ dominiert, wird in Amerika mit 95 % die mit 350 Jahren nur wenig jüngere, nach einem Pariser Vorort benannte, hellerfruchtige Sorte ‘Montmorency’ angebaut. Sie wird in den USA sehr stark beworben. Recherchen zu den Gesundheitswirkungen der Sauerkirsche erwecken deshalb den Eindruck, dass diese Sorte weitaus gesünder sei als andere – was aber beim Blick auf die Inhaltsstoffe definitiv nicht der Fall ist. Die ihr zugeschriebenen Wirkungen treffen gleichermaßen – und teils stärker – auch auf dunklerfruchtige Sorten zu. Es ist also nicht nötig, sich speziell auf die gehypte ‘Montmorency’ zu konzentrieren. Die hier angebauten Sorten sind teilweise sogar gehaltvoller.
Intensive Forschung
Dass in den letzten 25 Jahren so viele Studien zu den Gesundheitswirkungen der Sauerkirsche entstanden sind, ist maßgeblich auf das starke Marketing rund um die Sorte ‘Montmorency’ zurückzuführen. Aber auch aus den Hauptanbauländern von Sauerkirschen – Türkei, Russland und Polen – stammen etliche Forschungsarbeiten. Metastudien aus den letzten fünf Jahren belegen recht gut übereinstimmende Ergebnisse, die auch die schon von alten Heilkundigen empfohlenen Anwendungen bestätigen.
In der Ayurveda- (der indischen) und der Unani- (der arabisch-islamischen) Medizin kommt die Sauerkirsche bei Harnwegsinfekten, Reizblase, Nieren- und Blasensteinen zum Einsatz. Die aktuellen Studien konnten noch weitere Einsatzbereiche nachweisen: Bei zu hohen Harnsäurewerten im Blut verbessert Sauerkirschsaft die Harnsäureausscheidung drastisch – der Nachweis wurde mit einem täglichen Konsum von knapp einem halben Liter Saft erbracht. Der Harnsäurespiegel sank fast auf das Normalmaß und die Anzahl Gichtschübe sank um ein Drittel. Die Forschenden empfahlen Sauerkirschsaft dementsprechend als begleitende Therapie, da die verbleibenden zwei Drittel der Gichtschübe trotzdem behandelt werden mussten.
Dass Sauerkirschen Muskelkater vorbeugen und Muskelerschöpfung entgegenwirken können, fanden Sportmediziner heraus.
Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet von Sauerkirschen ist die Schlafqualität. Die Früchte enthalten natürliches Melatonin, das den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert. Regelmäßiger Kirschenkonsum fördert einen erholsamen Schlaf – nachgewiesen mit Tagesrationen von 100 ml Saft. Die Wirkung beruht neben Melatonin auch auf Procyanidin B2, das im Saft im Durchschnitt mit 0,2 % enthalten ist. Dabei konnten die Forscher nachweisen, dass isolierte Einzelkomponenten deutlich weniger wirken als die Frucht bzw. der reine Saft. Bessere Schlafeffizienz kommt auch dadurch zustande, dass Sauerkirschen stark entzündungshemmend wirken – und das Lindern von Entzündungsprozessen ist ebenfalls schlaffördernd.
Wie Süßkirschen haben auch Sauerkirschen schmerzlindernde Effekte. 20 Früchte entsprechen der Wirkung von einer Aspirintablette. Das hängt nicht nur mit der in Kirschen enthaltenen Salizylsäure zusammen, sondern auch mit den entzündungshemmenden Effekten.
Viel zur gesundheitsfördernden Wirkung tragen die in Sauerkirschen reichlich vertretenen Anthocyane bei. Je nach Sorte und Reife schwanken die Gehalte zwischen 300 und 800 mg/l – je dunkler die Frucht, desto höher der Gehalt.
In Verbindung mit weiteren Inhaltsstoffen – darunter hohe Gehalte an antioxidativ wirksamen – kann der Konsum von Sauerkirschen auch Schlaganfällen vorbeugen, die Gefäße elastisch ablagerungsfrei halten und den Bluthochdruck senken, den Cholesterin- und Blutzuckerspiegel regulieren, die Zellen vor oxidativem Stress schützen, Osteoporose vorbeugen, Tumore hemmen und die Gedächtnisleistung verbessern.
Heilwirksame Blätter
Ganz junge Kirschblätter ergeben zusammen mit Himbeer- und Brombeerblättern einen wertvollen Erfrischungstee. Ältere Blätter, fein gehackt, eignen sich auch zum Würzen von Einlegegurken und Tomatengerichten. Frische Blätter und selbst die Blüten kann man zu Salaten, Soßen und Suppen hinzufügen, sie geben aber auch Marmeladen eine aparte Note. Tabak wurde in armen Zeiten mit getrockneten Kirschblättern gestreckt.
Zwar gibt es keine Monographie für Kirschblätter als Heilsubstanz, aber die Zusammenschau naturheilkundlicher Empfehlungen und zahlreicher Studien verweist auf eine gute Wirkung von Teeauszügen, innerlich und äußerlich angewendet, bei folgenden Indikationen: Blutarmut, Grippe und Erkältungen, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Rheuma, Gicht, Schwellungen, Mundentzündungen, Hautunreinheiten und Mattigkeit. Die bis zur Blüte gesammelten und breit ausgelegten, bei nicht über 35 °C getrockneten Blätter enthalten über 30 mg Phenolsäuren, darunter auch reichlich Salicylsäure, ferner viel Vitamin C, Folsäure, Ellagsäure, Quercetin und Pektin. Sie wirken entschlackend, harntreibend, zellschützend, schleimlösend, keimhemmend, stoffwechselregulierend, aufbauend, immunstärkend und entzündungshemmend. Tagesdosis für Blättertee: 2 EL frische oder 1 EL getrocknete Blätter mit einem halben Liter kochendem Wasser übergießen und 15 Minuten ziehen lassen.
Alle Pflanzenteile nutzbar
Der Baum hat aber noch mehr zu bieten als Blätter und Früchte. Selbst die Blüten und Fruchtstiele, die Rinde und das Kirschgummi sowie Steine und natürlich das Holz sind nutzbar.
- Blüten: Kirschblüten symbolisieren Reinheit und Schönheit. In den ersten Gartensalat gestreut, beleben sie Körper und Geist. Zusammen mit den jungen Blättern können sie für Teeaufguss verwendet werden.
- Stiele: Auch die Fruchtstiele sollte man nicht achtlos wegwerfen. Als Teeaufguss lösen sie bei anhaltendem Husten den Schleim. Sie wirken entwässernd, entgiftend und entschlackend zugleich und sind deshalb in Blutreinigungs- und Entfettungstees enthalten, heute oft als „Detox-Tee“ bezeichnet.
- Rinde: Heilkundige verabreichten früher einen Brei aus Kirschenrinde, Hanfsamen und Zwiebeln zum Genesen nach schwerer Krankheit. Pulverisierte Rinde half in Form von Wickeln oder Einreibungen gegen Gelenkbeschwerden. Manche glaubten, dass ein Rindenstück vor Pest schützt: Einfach an der Haustüre befestigen…
- Steine: Ob Süß- oder Sauerkirsche, die Steine eignen sich nicht nur ideal für Wettbewerbe im Weitspucken. Sauber gewaschen und getrocknet, dienen sie als angenehmer Wärmespender im Kirschkernkissen, auch schlicht „Steinsack“ genannt. Die getrockneten Steine – je nach gewünschter Kissengröße zwischen 200 und 500 Gramm – werden dafür in einen kleinen Stoffbeutel, am besten aus Leinen, notfalls reine Baumwolle gefüllt. Das Säckchen sollte so groß sein, dass es nicht zu prall wird, damit sich der erwärmte Steinsack angenehm anschmiegen kann. Das Aufwärmen ist einfach: auf den Kachelofen oder Heizkörper legen oder für zwei bis drei Minuten in der Mikrowelle – je nach Kissengröße. So ein Kirschkernkissen kann auch recht lang anhaltend kühlen, wenn es zuvor im Kühlschrank aufbewahrt wurde.
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Kirschgummi: Mit „Kirschgummi“ oder „Katzengold“ sind die bernsteinfarbenen Ausscheidungen an Stamm oder Ästen gemeint, die eine harzartige Struktur haben und deshalb auch „Bauchharz“ oder „Baumpech“ heißen. Es ist kein Harz im engeren Sinne wie bei Nadelbäumen. Optisch gleicht es Bernstein. Schon Pedanios Dioskurides empfahl in seiner um 60 n. Chr. erschienenen Schrift De materia medica Kirschgummi als Hustentee und gegen Blasenleiden. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Baumausscheidungen reizlindernd und desinfizierend wirken: Man kann sie direkt lutschen oder in heißem Wasser auflösen. Früher diente Kirschgummi als Gemäldefirnis und Färbemittel.
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