Einfluss Europas auf die lokale Produktion erörtert

Rheinisch-Nassauische Obstbautagung traditionell verbandspolitisch ausgerichtet

Dr. Annette Urbanietz
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Jedes Jahr im Dezember lädt der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau zum Obstbautag ein.

Die traditionell verbandspolitisch ausgerichtete Veranstaltung fand auch diesmal wieder im Forum Nord der Uni Bonn am Standort Klein-Altendorf statt. Zu Gast war die EU-Parlamentsabgeordnete Christine Schneider, die aus der Pfalz stammt und mit den Teilnehmern engagiert über die aktuelle Entwicklung branchenrelevanter Themen auf EU-Ebene diskutierte.

Norbert Schäfer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Obstbau im Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau, betonte in seiner Begrüßung, dass man mit der Standortwahl auch ein Zeichen setzen wolle, wie wichtig der Versuchsstandort Klein-Altendorf für die Obstbauern in Rheinland-Pfalz ist. Prof. Dr. Ralf Pude, Wissenschaftlicher Leiter des Campus Klein-Altendorf der Universität Bonn, begrüßte als Gastgeber und gab einen Überblick über aktuelle Forschungsprojekte am Standort.

Wir stehen politisch an der Bordsteinkante…
… so die Einschätzung von Marco Weber, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, der über die aktuellen Entwicklungen in der Agrarpolitik berichtete. „Wir müssen genau aufpassen, dass wir nicht über diese Bordsteinkante fallen“, mahnte er. „Die jungen Betriebsleiter dürfen nicht die Lust am Beruf verlieren und aufhören.“ Hier nannte er insbesondere den Umgang mit witterungsbedingten Ertragsausfällen, den Pflanzenschutz und die überbordende Bürokratie als kritische Punkte. Dabei sei Landwirtschaft doch eigentlich ein tolles Berufsfeld, das zum Experimentieren einlädt; es gebe kein Schema X, das alle einhalten müssen. Entsprechend forderte er insbesondere junge Betriebsleiter auf, Dinge auszuprobieren und Zukunftsperspektiven auszuloten.

Anschließend ging Norbert Schäfer auf die speziellen Herausforderungen im Obstbau ein. Er ließ das durch Frostschäden geprägte Jahr 2024 Revue passieren und forderte die betroffenen Betriebe auf, bis zum 8. Januar ihre Anträge auf EU-Frosthilfen zu stellen. Bei der anstehenden Bundestagswahl werde auch der Mindestlohn wieder zum Thema werden. Norbert Schäfer verdeutlichte, dass im Obstbau eine Ausnahmeregelung für SAK dringend notwendig ist, denn die steigenden Lohnkosten lassen sich in den lohnintensiven Kulturen nicht über entsprechend angepasste Preise für Obst wieder hereinholen. Und auch in puncto Pflanzenschutz benannte er deutliche Missstände: „Die Mittelverfügbarkeit sinkt, es gibt riesige Indikationslücken – und trotzdem wird von uns Obstbauern das Ausloten von Reduktionspotenzialen gefordert“, kritisierte er. „Wann fangen Politik und Behörden endlich damit an, den Pflanzenschutzmitteleinsatz in Relation zur produzierten Ertragsmenge zu sehen? Denn je mehr Ertrag, desto weniger Fläche ist für die Produktion nötig und desto mehr Fläche stünde für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung.“ Er berichtete, dass die Bundesfachgruppe  Obstbau bereits seit Jahren viel Geld ausgebe, damit Obstbauern die dringend benötigten – aber nicht mehr im Obstbau zugelassenen – Präparate mittels Notfallgenehmigung einsetzen können, um ihre Ernten zu sichern. Geld, das auch in der Fachgruppenkasse nicht unbeschränkt zur Verfügung steht, sondern über Mitgliedsbeiträge generiert wird. Aber immer mehr Landesverbände würden nicht mehr einsehen, dass sie dafür bezahlen, dass auch Nicht-Mitglieder von diesen Notfallgenehmigungen profitieren. Deshalb haben die Delegierten der Bundesfachgruppe im November beschlossen, dass die Bundesfachgruppe ihre Anträge auf Notfallzulassung zukünftig nur noch für Mitgliedsbetriebe der Landesverbände stellen soll. Aktuell werde rechtlich geprüft, ob und wie dieser Beschluss ab 2025 in der Praxis umsetzbar ist.

Wenn Laien beschließen…
Als wichtige Fürsprecherin in landwirtschaftlichen Fragen in Brüssel kündigte Norbert Schäfer dann Christine Schneider an. Die CDU-Politikerin sitzt im EU-Parlament und ist engagiertes Mitglied in den Ausschüssen ENVI und AGRI. „Das Schlimmste, was in der Politik passieren kann, sind Politiker, die sich in der Praxis nicht auskennen und nur auf Basis von Theorie und Ideologie entscheiden. Denn dann ist es für uns ganz schwierig, die Weichen wieder in die richtige Richtung umzulenken – das hat das Beispiel SUR gezeigt“, verdeutlichte Christine Schneider in ihrer Einleitung und forderte eine bessere Vertretung der Bundesrepublik auf Europäischer Ebene, denn hier sei Deutschland viel zu zögerlich. Politik funktioniere nur über Vernetzung und kontinuierlichen gegenseitigen Austausch. Im Parlament seien viele NGOs sehr aktiv, oft mit Unterstützung der Presse, da müsste der Berufsstand viel stärker gegenhalten. So müsse man im Blick behalten, dass Maßnahmen, die der Landwirtschaft auferlegt werden, auch wirtschaftlich umsetzbar seien. Christine Schneider plädierte dafür, dass die Politik Anreize schafft, umweltbewusst zu handeln, anstatt die Bauern mit Regelungen vor den Kopf zu stoßen.

Thema Bürokratieabbau
Hier sei vor allem die Bunderegierung gefragt, denn weil Deutschland leider dazu neige, „immer noch eine Schippe draufzulegen“, gebe es hier Probleme, die in anderen EU-Ländern gar keine seien…

Aber Freiheit bedeute auch mehr Selbstverantwortung. Wenn ein Förderprogramm aufgelegt wird, müssen auch entsprechende Kontrollen durchgeführt werden. Christine Schneider rät deshalb zu einem Umdenken in der Förderpolitik: „Alle klagen, dass wir in Dokumentationspflichten und langen Genehmigungsverfahren ersticken. Aber wenn wir in unserer aktuellen Mentalität der Vollkaskoversicherung verharren, wird sich das nicht ändern, denn jede Verwaltung will sich absichern, dass Fördergelder auch korrekt ausgezahlt werden“, verdeutlichte sie.

Als Herausforderung bezeichnete sie die zukünftige Ausgestaltung der 1. Und 2. Säule der EU-Agrarförderung. Denn die Bedürfnisse der einzelnen EU-Staaten seien sehr unterschiedlich. Entsprechend schwierig sei eine Beschlussfassung, die möglichst vielen Ländern gerecht werde. Deshalb müsse jedes Land schon im Vorfeld sehr genau definieren, was es fördern und absichern möchte. Letztlich werde der EU-Haushalt in den kommenden Jahren nicht größer, daher sei es schon ein Erfolg, wenn der Agrarhaushalt stabil bleiben würde.

Pflanzenschutz
Insbesondere das Thema Pflanzenschutz bezeichnete die EU-Politikerin als so ideologiebeladen, wie kaum ein anderes in der Europäischen Union. Ob SUR oder Glyphosat – mit der Realität haben die Entscheidungen nur wenig zu tun, wie Christine Schneider kritisierte. „Die wenigsten Entscheider – ob auf EU- oder Landesebene – haben eine Vorstellung von der Realität in der Landwirtschaft. Die meisten Entscheidungen werden ja noch nicht einmal im Agrarausschuss behandelt, sondern im Umweltausschuss.“ Deshalb habe sie sich auch dafür entschieden, im EU-Umweltausschuss aktiv zu werden. „Ich bin mir nicht sicher, dass es eine SUR 2.0 geben wird, aber im Pflanzenschutz muss etwas passieren – insbesondere in der Dauer und Komplexität von Zulassungen. Reduktion ohne Ertragseinbußen, das muss das Ziel sein.“ Sie berichtete, dass Deutschland es als Rapporteur Member State nie schaffe, fristgerechte, objektive Bewertungen von Wirkstoffen durchzuführen, damit diese in der EU zur Zulassung kommen können – das sei ein Riesen-Problem. Die Pflanzenschutzmittelfirmen würden wegen dieser Unwägbarkeiten immer seltener Produkte in der EU zur Zulassung anmelden – ganz zu schweigen in Deutschland.

Die EU-Parlamentarierin plädierte dafür, dass in Deutschland keine Mittel verboten werden sollten, die in Europa eine Zulassung haben, denn dies sei ein definitiver Wettbewerbsnachteil. Auf der anderen Seite gebe es viele Ansätze in Deutschland, die auch für ganz Europa von Vorteil wären, z. B. den Sachkundenachweis.

Insgesamt müsse die Pflanzenschutzmittelzulassung wieder wissenschaftsbasierter erfolgen. Und NGO’s dürften ihrer Ansicht nach nicht mit öffentlichen Geldern gefördert werden, wenn sie die Politik beeinflussen. Auf der anderen Seite sollten sich Vertreter der Landwirtschaft nicht schämen, viel aktiver auf die EU-Politik Einfluss zu nehmen.

Selber politisch aktiv werden
Letztlich geschieht politische Entscheidungsfindung immer über Kompromisse – und Kompromisse dürften nicht schlecht geredet werden – sie seien hart erarbeitet. Von den Obstbauern im Auditorium forderte Christine Schneider, die EU-Politiker nicht immer nur zu kritisieren, sondern ihnen auch Lösungsansätze vorzuschlagen: „Wer darüber jammert, dass über seinen Kopf entschieden wird, der soll sich erstmal an die eigene Nase fassen und selber politisch aktiv werden“, konkretisierte sie. „Sagen Sie mir nicht immer nur, was nicht gut läuft, sondern arbeiten Sie daran mit, wie wir es besser machen können – ob im Pflanzenschutz oder im Bürokratieabbau.“

Verbraucherkonsum könne kurzfristig nicht verändert werden, das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur langsam vonstattengeht. Hier sei die Situation in Deutschland auch eine Besondere, denn in allen anderen Ländern der EU sei der Anteil inländischer Ware am Konsum deutlich höher als in Deutschland.

Thema Mehrgefahrenversicherung
Zu Versicherungslösungen im Pflanzenbau sprach zum Abschluss Dr. Christian Kaiser von der Vereinigten Hagelversicherung. Er erklärte, dass sein Unternehmen die Gefahr Hagelschlag als Basis bei jedem Vertrag mitversichert. Sturm, Starkregen und Frost könnten dann je nach Kulturart beliebig mit dieser Grundversicherung kombiniert werden. Weil aber der Anteil des zu ersetzenden Schadens sinkt, je gravierender der Schaden ist, können Versicherungslösungen laut Dr. Kaiser immer nur ein Baustein im Risikomanagement der Betriebe sein.

Frost bezeichnete er als ein historisches Risiko, an dem schon diverse Versicherungen gescheitert seien. Um sich dieser Verantwortung zu stellen, müsse die Vereinigte Hagel die Rahmenbedingungen so setzen, dass das System auch langfristig funktioniere. Insbesondere die fehlende Risikostreuung in einer Region mache die Frostschaden-Versicherung für den Versicherungsanbieter riskant. Entsprechend seien eine hohe Prämie und ein hoher Selbstbehalt unabdingbar.

Dr. Kaiser gab einen Überblick über die Schadensregulierung bei Frostschäden an Kernobst in Deutschland und dem Rest Europas und zeigte, welche anderen Bereiche im Rahmen eines Risikomanagements vom Betrieb zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Problematisch seien für die Vereinigte Hagelversicherung die aktuell von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Fördervorgaben, eine bundesweit einheitliche Regelung, oder, noch besser, eine Förderpolitik analog zu unseren Nachbarländern, würde die Schadensabwicklung deutlich vereinfachen.

Über den Autor

Dr. Annette Urbanietz, Klein-Altendorf, E-Mail: urbanietz@obstbau.org

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