Copa-Cogeca: Beim Pflanzenschutz droht völliger Stillstand, wenn EU-Kommission nicht schnell handelt
”In den vergangenen zehn Jahren haben wir immer häufiger von europäischen Kollegen gehört, dass in bestimmten Kulturen, sei es im Gemüsebau, im Obstbau oder in der gartenbaulichen Pflanzenproduktion, die Produktion einfach eingestellt wurde, weil es an Lösungen zur Bekämpfung von Schädlingen oder Krankheiten fehlt”, erklären Max Schulman, finnischer Landwirt und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Pflanzengesundheit bei Copa-Cogeca, Johann Meierhöfer, Leiter des Bereichs Pflanzenbau/Energie im Deutschen Bauernverband, stellv. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Pflanzengesundheit bei Copa-Cogeca, und Miguel Minguet, spanischer Landwirt, stellv. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Pflanzengesundheit bei Copa-Cogeca. Sie machten deutlich, dass dieses Problem, das nur selten Schlagzeilen macht und in der Öffentlichkeit oft missverstanden wird, für die große Mehrheit der Produzenten eine große Quelle der Frustration und Entmutigung darstellt. Die Copa-Cogeca-Vertreter warnten eindrücklich, dass das, was früher die Ausnahme war, auf europäischer Ebene immer mehr zur Regel werde. So könnten innerhalb weniger Jahre alle großen landwirtschaftlichen Produktionen in Europa vor dem völligen Stillstand stehen.
Gefährdung der Ernährungssicherheit
Der Hintergrund: Seit 2001 ist die Zahl der verfügbaren Pflanzenschutzmittelwirkstoffe von 900 auf 422 Substanzen gesunken. Seit Juni 2019 gab es einen Nettoverlust von 85 Wirkstoffen, ohne dass ein einziges konventionelles Produkt zugelassen wurde, um die verlorenen Wirkstoffe zu ersetzen. Johann Meierhöfer und seine Kollegen machten in ihrem Statement deutlich, dass sich das Tempo dieser Rücknahmen aktuell rapide beschleunigt. Als „Herzstück“ des drohenden Wirkstoffmangels bezeichneten sie das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel, das auf das Jahr 2009 zurückgeht und dessen Rahmen im Laufe der Zeit immer starrer geworden sei.
Sie verdeutlichten am Beispiel der Kartoffel auch für Laien verständlich, welche Folgen der mittlerweile bedrohlich gewordene Wirkstoffmangel nicht nur für die Anbauer, sondern auch für die Verbraucher bedeutet: „Wenn wir nur ein einziges überzeugendes Beispiel wählen müssten, um die Risiken zu verdeutlichen, die das Ausbleiben konkreter politischer Maßnahmen für uns alle mit sich bringt, dann nehmen wir den markanten Fall der Kartoffel. Auch heute noch bedroht die Kraut- und Knollenfäule, dieselbe Krankheit, die seinerzeit die irische Kartoffelknappheit verursachte und zu einem Massenexodus der Bevölkerung nach Amerika führte, die Ernten. Während die Landwirte noch vor wenigen Jahren über eine Vielzahl von Mitteln zur Bekämpfung dieser pilzlichen Erkrankung verfügten, schwinden ihre Möglichkeiten heute rapide. Ohne sofortige Maßnahmen könnten die Kartoffelerträge deshalb in naher Zukunft um bis zu 50 % zurückgehen, was nicht nur die Lebensgrundlage der Landwirte, sondern auch die Ernährungssicherheit und -souveränität Europas bedrohen würde.
Spiel mit der Zeit
Die drei Vertreter der Landwirtschaft auf EU-Ebene mahnten, dass jedes Jahr, das verstreicht, den Wettlauf mit der Zeit schwieriger mache. Schon bald werde Europa nicht mehr den Luxus großer theoretischer Debatten haben, sondern mit der harten Realität konfrontiert sein, die schnell näherrücke, sei es durch immer häufiger auftretende Krisen, die unsere Produktion beeinträchtigen, oder durch die zunehmende Inkohärenz und eklatante Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit Agrar- und Lebensmittelimporten, die weder unsere Standards noch unsere Verbote einhalten.
Die EU-Kommission als Hoffnungsträger
Hoffnung in dieser Frage für den Agrarsektor könnte nun aber von der Kommission kommen. Die führende Institution der EU ist sich des Problems und der Herausforderungen, die es sowohl für den Binnenmarkt als auch für unsere Einfuhren mit sich bringt, offensichtlich voll bewusst. In der ’Vision für die Zukunft der Landwirtschaft’ wurden starke und klare Grundsätze zu diesem Thema formuliert, wie z.B. die Idee ’kein Verbot ohne Alternativen’. Dies müsse sich nun jedoch in der Praxis und durch konkrete Maßnahmen widerspiegeln, wie Copa Cogeca fordert. Sie sollten insbesondere in dem für Herbst 2025 angekündigten Vereinfachungspaket enthalten sein.
Es ist fünf vor 12
Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Pflanzenschutz machten Max Schulman, Johann Meierhöfer und Miguel Minguet nun folgenden Vorschlag: Vier einfache Grundsätze könnten dazu beitragen, das Schlimmste zu verhindern, und gleichzeitig den Landwirten und Interessenvertretern der Branche eine Perspektive bieten. Sie lauten wie folgt:
- Das derzeitige Verfahren zur Wiederzulassung muss überarbeitet werden – unter fairer Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Zu viele Wirkstoffe werden aus Gründen von der Liste gestrichen, die nach Ansicht des Berufsstandes nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert sind oder auf einer falschen Risikokalkulation beruhen.
- Die Zulassung alternativer Lösungen, wie biologische Pflanzenschutzmittel und/oder neue genomische Techniken, müsse unterstützt, gefördert und beschleunigt werden. Allerdings brauchen Forschung und Kommerzialisierung Zeit. Deshalb müssen praktische Übergangsregelungen in Betracht gezogen werden, um eine Ausbreitung von Blockaden zu vermeiden.
- Initiativen zur agronomischen und technischen Unterstützung der Landwirte bei der Umstellung auf neue Pflanzenschutzmethoden müssen unterstützt werden.
- Wo immer möglich, müsse den Schutz der europäischen Standards in der Handelspolitik gestärkt werden. Andernfalls werden die Landwirte in Europa in zunehmendem Maße mit einem ’Leck im Pflanzenschutz’ konfrontiert sein.
In Sachen Pflanzenschutz, aber auch in vielen anderen Bereichen der Landwirtschaft, spiele Europa in den kommenden Monaten um seine Zukunft - und auch um seine Ernährungssicherheit. Die drei Vertreter von Copa-Cogeca machten unmissverständlich deutlich: „Wenn wir nicht in der Lage sind, uns um unsere Pflanzen zu kümmern, wird es nichts mehr geben, worüber man sagen könnte: ’Guten Appetit, das kommt aus Europa’. Zwischen politischem Dogmatismus und einem unhaltbaren Status quo gibt es einen vernünftigen Weg, der durch pragmatische Entscheidungen und den Dialog mit den Vertretern der Landwirtschaft gestaltet werden kann.”
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