„Bei dieser Kultur gibt es nur Vollgas oder gar nicht“

Ingo Ehrenfeld baut im Landkreis Heilbronn Kiwibeeren an

Theresa Petsch
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Jein. Winterliche Minusgrade ertragen sie gut. Zwar schätzen die Verwandten der Kiwis warme Sonnenstrahlen und mögen keinen Spätfrost. Trotzdem würde Obstbauer Ingo Ehrenfeld sie eher an einen Nordhang pflanzen.

Die wenigsten Verbraucher haben sie bislang probiert. Und kaum jemand baut sie hierzulande an. Obstbauer Ingo Ehrenfeld beschritt also Neuland, als er im Jahr 2009 1,5 ha Kiwibeeren (Actinidia arguta) pflanzte. Da es keinen Beratungsdienst gab und gibt, startete der Obstbauer auf eigene Faust und nach bestem Wissen und Gewissen mit dem Anbau. Die Rankpflanze wird im englischsprachigen Raum „Kiwiberry“ genannt, deshalb hat man sich in Deutschland auf die angepasste Bezeichnung „Kiwibeere“ geeinigt. Sie wird aber immer noch häufig als „Minikiwi“ oder auch als „Babykiwi“ oder „Beerenkiwi“ bezeichnet. Heute baut Ingo Ehrenfeld auf seinem Betrieb in Hardthausen im Landkreis Heilbronn auf zehn Hektar Kiwibeeren an, dazu auf 40 Hektar Kernobst und 25 Hektar Grünspargel.

Gesunde Vitaminpakete
Kiwibeeren schmecken wie große Kiwis, können allerdings mitsamt der Schale verzehrt werden. Die etwa zwei bis drei Zentimeter großen, in der Reife oft rötlichen Beeren enthalten sehr viel Vitamin C. „Aber am allerbesten ist der Geschmack“, findet Ingo Ehrenfeld. „Das ist mal was komplett anderes.“

Gesund sind Ehrenfelds Kiwibeeren auch als Pflanze, weil sie nicht sehr krankheitsanfällig sind. „Wir behandeln sie gar nicht“, erklärt der Obstbauer. Er findet, dass es dafür eigentlich ein Label „komplett unbehandelt“ bräuchte. Zunächst holte er in jedem Bedarfsfall noch eine einzelbetriebliche Ausnahmegenehmigung nach § 22(2) Pflanzenschutzmittelgesetz für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ein. Aber Kiwibeeren werden so selten angebaut, dass es bislang keine offiziellen Empfehlungen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in dieser Kultur gibt. „Für die Indikation Kiwi ist kein einziges Pflanzenschutzmittel zugelassen”, weiß auch Arno Fried, Landratsamt Karlsruhe. Er leitet dort die Sonderkulturgruppe des Landwirtschaftsamts und ist für den Pflanzenschutz im Obstbau zuständig. „Nur Grundstoffe oder Pflanzenstärkungsmittel können angewendet werden.“

Wegen des geringen Pflanzenschutzbedarfs der Kiwibeeren und aufgrund des aufwendigen Genehmigungsprozesses stellte Ingo Ehrenfeld seine Kiwibeeren-Anlage auf biologische Bewirtschaftung um. Seit 2019 trägt sie das Biosiegel. Der Obstbauer verzichtet seither komplett auf Pflanzenschutzmittel. Actinidia arguta vertrage Herbizide ohnehin nicht besonders gut. „Also spritze ich lieber gar nicht. Das hat auch seine Wertigkeit. Null Pflanzenschutz – das finde ich schon sehr attraktiv.“ Der intensive Pflanzenschutz bei den Äpfeln nerve ihn schon ein bisschen, bekennt Ingo Ehrenfeld. Bei den Kiwibeeren könnten lediglich Kirschessigfliegen und Schildläuse zum Problem werden. Um einen KEF-Befall zu vermeiden, erntet er die Früchte leicht unreif und lässt sie anschließend geschützt nachreifen.

Der Ursprung der Idee
Auf die ungewöhnliche Frucht ist der Obstbauer aus der Neckarregion während seines Gartenbaustudiums in Weihenstephan gestoßen. „In den hochschuleigenen Lehr- und Versuchsgärten waren an einer Hecke ein paar Kiwibeeren als Sichtschutz gepflanzt. Die Beeren haben mir so gut geschmeckt, dass ich eine Semesterarbeit über sie geschrieben habe. Und hinterher dachte ich, dass dies eine Nischenkultur ist, die interessant sein könnte“, erinnert er sich. Und so pflanzte er im Jahr 2009 auf dem elterlichen Betrieb in Hardthausen nahe Heilbronn 1,5 ha Kiwibeeren der Sorten ‘Weiki’ und ‘Julia’. Den Anbau erweiterte der junge Landwirt in den darauf folgenden Jahren auf zehn Hektar, um die entdeckte Nische komplett zu füllen. Dabei erkannte er schnell, dass ‘Julia’ sich mit ihren kleinen Früchten nicht für den Erwerbsobstbau eignet. 500 Pflanzen musste er deshalb wieder roden. Nur fünf Stöcke dieser Sorte stehen heute noch auf seinen Feldern. ‘Weiki’ dagegen trägt reichlich und zuverlässig – wenn sie nicht erfriert.

Wie man einen Weinberg angelegt
Vier bis fünf Jahre dauert es, bis eine Kiwibeeren-Pflanze in den Vollertrag kommt. Die Rankpflanzen werden im Betrieb Ehrenfeld in Zeilen erzogen, wie in einem Weinberg. Der Pflanzabstand beträgt 2,60 Meter zwischen den Reihen und 1,70 Meter in der Reihe. So kann Ingo Ehrenfeld bereits vorhandene Maschinen einsetzen.

Anfang Juni öffnen sich die Blüten. Da Kiwibeeren wie ihre großen Verwandten zweihäusig sind, ergänzt alle neun Pflanzen ein männliches Exemplar die Damenriege. Während der Anbausaison erfolgen zwei Schnittmaßnahmen: Etwa zwei Wochen nach der Blüte (Mitte Juni) erfolgt der erste Schnitt, damit die Früchte ein bisschen größer werden. Und ein weiteres Mal schneidet Ingo Ehrenfeld nach Bedarf, wenn die Ruten in Gefahr laufen, ineinander zu wachsen – denn bei bis zu sieben Metern Längenwachstum im Jahr kann es sonst schnell passieren, dass die Zeilen über der Fahrgasse zusammenwachsen. „Wenn man zu spät mit der Schneidemaschine kommt, können große Wunden entstehen oder ganze Pflanzen herausgerissen werden”, verdeutlicht der Anbauer.

Der eigentliche Schnitt erfolgt wie bei anderen Obstkulturen während der Vegetationsruhe. Dann nimmt der Anbauer jährlich zwei bis drei der ältesten Ruten zur Verjüngung heraus und bindet die verbleibenden an Drähten fest. Denn die fruchtenden Triebe wachsen bei Kiwibeeren aus den Knospen des letztjährigen Holzes, sodass ein jährlicher Rückschnitt nicht zielführend wäre.

Kiwibeeren mögen leicht saure Böden. Davon abgesehen sind sie recht anspruchslos. „Bei höheren pH-Werten wachsen sie trotzdem. Nur wenn der Boden zu kalkhaltig ist, bekommt sie gelbe Blattchlorosen“, erklärt Ingo Ehrenfeld. Bei ihm stehen die Rankpflanzen auf leicht saurem Lösslehm und Schwemmlandboden.

Aus seinen Fehlern lernen
Das Jahr 2021 stellte den Kiwibeeren-Anbauer auf eine harte Probe. Fast ein dreiviertel Hektar der Rankpflanzen gingen nach und nach zu Grunde. Die Ursache: unbekannt. Möglicherweise platzten bei den wechselhaften Temperaturen im Winter die Stämme? Jedenfalls trieben die Pflanzen normal aus und sahen gesund aus – bis sie innerhalb weniger Tage plötzlich komplett abstarben. Dass sich kaum jemand in Deutschland mit den Kiwibeeren auskennt, empfindet der Landwirt in solchen Momenten als besondere Herausforderung.

Woran es lag? Nun, der Anbauer wollte seinen Exoten etwas Gutes tun, indem er sie in seine wärmste Lage an einem Südhang pflanzte. „Heute weiß ich, dass der Nordhang besser gewesen wäre, weil sie dann später austreiben“, berichtet er. Denn wie die großfruchtige Kiwi (Actinidia deliciosa) gehören Kiwibeeren zur Pflanzenfamilie der Strahlengriffelgewächse. Ihre wilden Verwandten klettern in Wäldern an Bäumen hoch und blühen, bevor das Blätterdach des Waldes voll ausgebildet ist. Deshalb treiben sie meist schon Mitte März bei den ersten Sonnenstrahlen aus – was sie in Deutschland sehr anfällig für Spätfröste macht.

Der Nordhang würde auch dem Schlaf des Anbauers zugute kommen: Im Jahr 2021 musste er in zwölf Nächten die Frostschutzberegnung anschalten. Vorsichtshalber schaltete er sie etwas früher ein als beim Kernobst und ließ die Beregnung auch länger laufen, als es die Temperaturen zwingend nötig gemacht hätten. Denn bereits ab 0  °C können Frostschäden an den austreibenden Kiwibeeren entstehen. Im Winter hingegen sollen die Pflanzen problemlos auch bis zu –20  °C Frost vertragen können, auch wenn es nach Ingo Ehrenfelds Erfahrung eher bis zu –15  °C sind. Denn trotz aller Schutzmaßnahmen konnte er nach dem Winter 2020/2021 aufgrund der Pflanzenausfälle nur die Hälfte einer normalen Ernte einfahren. „Bei der Minikiwi gibt es nur Vollgas oder gar nicht. Entweder sie wächst oder sie stirbt ab“, macht der Obstbauer deutlich. „Ich habe in der Anfangszeit eigentlich jeden Fehler gemacht, den man so machen kann“, stellt er rückblickend fest. Aber gerade deswegen ist er heute ein gefragter Fachmann für diese Kultur.

Ohne Beregnung läuft nichts
Nicht nur bei Frost, sondern auch im Sommer wollen die Kiwibeeren beregnet werden. Ingo Ehrenfeld liegt mit seinem Biobetrieb direkt am Kocher und darf daraus Wasser entnehmen – zum Glück. Denn die mechanische Bodenbearbeitung nimmt den Flachwurzlern einiges an Wurzelmasse, sodass die Pflanzen dringend Wasser brauchen, wenn es nach dem Hacken der Pflanzstreifen heiß wird.

Ideal ist das Hacken also nicht, aber mit der Zeit haben sich seine Kiwibeeren daran gewöhnt, berichtet er. Als Biobetrieb stünden ihm Herbizide als Alternative zum Hacken ohnehin nicht zur Wahl. Für die Fruchtqualität sei es aber wichtig, dass das Unkraut das ganze Jahr über niedrig gehalten werde. Denn sobald es die Fruchtstände der Kiwibeeren erreicht, können Reibeschäden an den empfindlichen Beeren entstehen, die zu Qualitätsverlusten führen.

Den Handel überzeugen
Geerntet werden die Vitaminbomben im September und Oktober, wenn sie noch leicht unreif sind. In Handarbeit kann eine Person bis zu zehn Kilo in der Stunde ernten. Die Früchte kommen dann ins Kühlhaus und werden dort bei 0   °C für maximal zwei Monate gelagert, bis sie in der betriebseigenen Packanlage verpackt und anschließend verkauft werden.

Wenn alles gut geht, liefern die etwa 4.000 Pflanzen pro Hektar an die 40 Tonnen Früchte – und das etwa 50 Jahre lang. Bisher erntete Ingo Ehrenfeld je nach Jahr zwischen 20 und 80 Tonnen Kiwibeeren. Das ist dieselbe Menge, die in ganz Belgien produziert wird – von 30 Erzeugern. Bei diesen Mengen genügt es nicht, die Früchte im Hofladen und auf Wochenmärkten zu verkaufen. Deshalb steckt der Kiwibeeren-Produzent viel Zeit in die Kundenakquise, informiert über die Beeren und bietet Kostproben an. Denn nach wie vor erklären und verkaufen sich Kiwibeeren nicht von allein. Einmal angefixt, signalisierten zwar viele Händler Interesse, seien aber vorsichtig mit den Bestellmengen.

Am schwierigsten sei es, bei den Händlern Verständnis dafür zu wecken, dass er im Februar noch keine Liefermengen für den Herbst garantieren kann. Denn wie die Ernte ausfallen wird, lässt sich frühestens nach der Blütezeit sagen. „Oft trifft man im Handel auf Menschen in Entscheidungspositionen, die sich mit der Produktion von Obst gar nicht mehr auskennen“, muss Ingo Ehrenfeld immer wieder feststellen. Der direkte Kontakt zum Handel helfe hier, bringe es aber auch mit sich, dass der Kiwibeeren-Produzent bei der Ernte die vereinbarten Liefertermine einhalten muss. Für die Arbeitsspitzen während der Erntezeit werden die drei festangestellten Mitarbeiter plus Familie deshalb von Saisonarbeitskräften unterstützt.

Preisgekrönte Kreationen
Für den Verkauf müssen die Früchte hart – also unreif – ausgeliefert werden. Dann schmecken sie noch nicht so gut, nehmen aber weniger Schaden beim Transport. Beim Kunden reifen die Kiwibeeren, neben einen Apfel gelegt, innerhalb weniger Tage nach, erklärt Ingo Ehrenfeld.

Aus den Früchten, die sich nicht für den Verkauf eignen, lässt er Saft pressen. Daraus entsteht der „Smookili“ – ein Smoothie-Kiwilikör, der vom Württembergischen Brennerverband bereits mit der Silbernen Preismünze ausgezeichnet wurde. Außerdem lässt Ingo Ehrenfeld von einem Kollegen im Ort einen Kiwibeerenbrand brennen. Auf den Flaschen prangt Ingo Ehrenfelds stilisiertes Gesicht.

Als Glühweinalternative war der aufgewärmte Smookili ein richtiger Renner auf Weihnachtsmärkten der Region. Und zusammen mit Lennart Geist, einem preisgekrönten Barkeeper aus Karlsruhe, hat der Kiwibeeren-Produzent auch schon zwei erfrischende Sommerdrinks auf Basis von „Smookili“ entwickelt. Doch die Corona-Pandemie legte die Bemühungen, in der Barszene Fuß zu fassen, vorerst auf Eis.

Zurzeit werden Hofladen und Eventgastronomie weiter ausgebaut. Hier können die Besucher direkt vor Ort ungewöhnliche Kiwibeeren-Leckereien probieren, neben den genannten Spirituosen gibt es dort unter anderem das erste Hardthausener Kiwibeeren-Eis, kreiert von der Eismanufaktur Peppe Gelato vom Bodensee, außerdem Saft und einen Energy-Drink auf Kiwibeerensaft-Basis (Erstveröffentlichung: BWagrar).

Über den Autor

Theresa Petsch, Redaktion BWagrar, Bopserstr. 17, 70180 Stuttgart, Tel.: 0711 982940-18, E-Mail: tpetsch@ulmer.de

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