Seit dem 24. Februar 2022 hat sich unsere sicher geglaubte Welt verändert. Noch vor wenigen Wochen kaum vorstellbare Wege der Sicherheits- und Energiepolitik müssen beschritten werden und auch die Versorgungs- und damit Agrarpolitik wird plötzlich unter ganz anderen Aspekten, nämlich der Unabhängigkeit und Selbstversorgung, betrachtet.
Auch unsere vergleichsweise kleine Obstbauwelt ist betroffen: Die exponentielle Steigerung der Betriebsmittelkosten, z. B. für Dünger und Energie, trifft alle grünen Bereiche. Bei den aktuellen Verwerfungen der Agrarmärkte scheint es so zu sein, dass insbesondere die Sonder- bzw. Dauerkulturen zu den Verlierern gehören werden. Wichtige Märkte gehen verloren, kurzfristige bzw. mittelfristige Änderungen der Anbauplanungen sind nicht möglich und Warenströme, die in Richtung Russland führen sollten, werden auf den europäischen Markt treffen. Absehbar ist, dass unsere Branche in all den Turbulenzen nicht zu den Gewinnern zählen wird, sondern in eine erhebliche Krise geraten könnte.
Solange Bomben fallen und geschossen wird, ist sicher nicht die Zeit für schnelle agrarpolitische Forderungen. Priorität hat die Sorge um die Zivilbevölkerung der Ukraine. Es ist ermutigend zu erleben, wie Europa zusammensteht und wie auch Obstbauern helfen, indem sie Flüchtlingen eine Unterkunft zur Verfügung stellen und Unterstützung anbieten.
Wichtig ist aber auch der klare Blick auf unsere Situation. Auf einem mit Obst überversorgten Markt werden bei sinkender Kaufkraft die hohen Umwelt- und Sozialstandards einer deutschen Produktion immer weniger oder gar nicht honoriert. Dabei bietet der deutsche Obstbau den Klima- und Artenschutz, der von Gesellschaft und Politik gefordert wird. Doch die angebliche Präferenz für regionale Produktion erweist sich an der Ladenkasse als Lippenbekenntnis, liegt der Selbstversorgungsgrad für Obst in Deutschland doch bei unter 30 % (s. Grafik Seite 203).
Strategische Lösungen für Sonderkulturen sind dringend erforderlich, hier ist die Politik gefordert. Lösungsansätze sind z. B. eine Förderung des nachhaltigen Integrierten Anbaus, die finanzielle Unterstützung des Risikomanagements der Betriebe und die Förderung von Öffentlichkeitsarbeit für deutsches Obst und Gemüse. Der Verbraucher weiß immer noch zu wenig über die Vorzüge unserer re-gio-nalen Produktion.
Vielleicht ist diese Krise der notwendige Weckruf?
Die deutschen Apfel-, Erdbeer-, Heidelbeer-, Kirsch- und Zwetschenkulturen sind in den meisten Regionen Deutschlands vergleichsweise gut durch die Phase der Blüte gekommen.
Die Äußerungen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Osterwochenende sorgten bei Obstbauern für Entsetzen und führten bei nicht wenigen auch zu Verzweiflung.
Im Wettbewerb der europäischen Obstbauregionen sind die hohen und teuren Umwelt- und Sozialstandards für die deutschen Produzenten nachteilig bis ruinös.
Traditionell blicken wir an dieser Stelle auf das zu Ende gehende Jahr zurück und versuchen, mit Zuversicht Ideen und Ansätze für Konzepte notwendiger Entwicklungen im Obstbau aufzuzeigen.
In diesen Tagen, Anfang Oktober 2022, entscheiden Apfelerzeuger, ob sie ihre Bäume weiter beernten oder die aufwendig produzierten Früchte einfach hängen lassen.
Auch wenn der Start der Weichobsternte mit den Erdbeeren insbesondere im Süden mehr als enttäuschend verlief, konnten im weiteren Verlauf der Erdbeer-, Kirsch- und auch der Heidelbeerernte die hervorragenden Mengen und Qualitäten etwas über die explodierenden Produktionskosten, die einbrechenden Preise und die Kaufzurückhaltung unserer Kunden hinweghelfen.