Wo Aggression und Resignation aufeinander treffen
Wo immer es gerade Winterveranstaltungen, Sitzungen, Messen und Seminare gibt, ist der Mindestlohn Topthema. Und es kommt zu wüsten Schimpftiraden auf die Politik.
Der Mindestlohn wird zu tiefgreifenden Veränderungen in unserer Branche führen. Marktpotenziale gehen aufgrund des stärker werdenden Wettbewerbsdruck verloren und der Strukturwandel wird angeheizt. All dies wird dann Arbeitsplätze kosten und negative Auswirkungen auf die Entwicklungen der ländlichen Räume und auch der Kulturlandschaft haben.
Die praktische Umsetzung des Mindestlohngesetzes ist es, die uns am gesunden Menschenverstand der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung zweifeln lässt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ignoriert die besonderen Belange der Saisonarbeit völlig und spielt durch die Erschaffung eines bürokratischen Monsters mit der Zukunft und der Vielfalt des deutschen Obstbaus. Denn je mehr der Gesetzgeber reguliert, desto mehr muss in den Betrieben dokumentiert und kontrolliert werden. So wächst nicht die Wirtschaft, sondern nur die Bürokratie.
Für die Umsetzung in der Praxis müssen umgehend weitreichende Erleichterungen geschaffen werden. Unsere Familienbetriebe können den geforderten Dokumentations- und Kontrollaufwand so nicht leisten. Der soziale Frieden in den Betrieben steht auf dem Spiel.
Es gibt dringenden Handlungsbedarf. Folgende Korrekturen müssen umgehend erfolgen und nicht erst in einem halben Jahr, wie es die Politik in Aussicht stellt:
• Nach dem Mindestlohngesetz ist der Lohn spätestens am Ende des Folgemonats zu zahlen. Saisonarbeitskräfte wollen Ihren Lohn zumeist am Beschäftigungsende bekommen, weil sie keine Möglichkeit der sicheren Aufbewahrung haben. Deshalb muss der Zoll eine Auszahlung am Beschäftigungsende akzeptieren.
• Nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums unterliegen wir den Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und nicht dem Mindestlohngesetz, da ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag abgeschlossen wurde. Nach unserer Auffassung ist das Gegenteil richtig und dies würde zu deutlichen Erleichterungen führen.
• Durch die Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gelten besondere Aufzeichnungspflichten. Für alle Arbeitskräfte ist der Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit innerhalb von sieben Tagen zu dokumentieren. Bei Anwendung der Regelungen des Mindestlohngesetzes wären ausschließlich die geringfügig Beschäftigten betroffen. Grundsätzlich ist aber nicht akzeptabel, dass kurzfristig Beschäftigte auch von der Aufzeichnungspflicht nach dem Mindestlohngesetz erfasst werden. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.
• Auch bei der Berücksichtigung von Kost und Logis ergeben sich durch die Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gegenüber dem Mindestlohngesetz unnötige und inakzeptable Verschärfungen. Bei der Anwendung des Mindestlohngesetzes ist für Saisonarbeitskräfte eine einfache Anrechnung von Kost und Logis auf den Mindestlohn möglich, bei Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ist nur eine bürokratisch aufwendigere Aufrechnung vorgesehen.
Wir erwarten ein Umdenken und schnelles Einlenken der Politik, denn wer einen Fehler begangen hat und ihn nicht korrigiert, begeht gleich einen weiteren Fehler.
Und vom Handel verlangen wir ein klares Bekenntnis zur deutschen Produktion. Deutsches Obst garantiert Qualität und Regionalität und obendrauf auch Sozialstandards und nun auch den Mindestlohn. Hiermit setzen wir uns deutlich vom Wettbewerb ab.
Jens Stechmann Jörg Disselborg
- Bundesvorsitzender - - Geschäftsführer -
Verwandte Artikel
Editorials
Der Obstbau in der Coronakrise – und jetzt?
Die Coronakrise hat Deutschland fest im Griff, Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet sie als die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg.
Wir sind im Gespräch…
Haben Sie am Freitag, dem 7. Februar 2020 die „heute show“ gesehen?
Unsere Apfelverteilaktion am 7. März lebt vom Mitmachen!
All die vielen Diskussionen über die obstbauliche Krise, fehlende Wertschätzung unserer Früchte und gesellschaftliche Kritik an unserer Arbeit hatten ein Ergebnis: Wir müssen mit den Verbrauchern reden!
»Das Leben gehört dem Lebendigen. Und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.«
Das sagte Johann Wolfgang von Goethe.
Liebe Obstbäuerinnen und Obstbauern!
Das Jahr geht zu Ende und wie niemals vorher stand der Obstbau im Zeichen der gesellschaftlichen Debatte um Klimawandel und Umweltschutz.
Dialog ist notwendig
Die notwendige gesellschaftliche Debatte zu Klimawandel, Umwelt- und Naturschutz wird leider auf vielen Ebenen unmittelbar und unsachlich mit unserer Obstproduktion verknüpft und stellt die Betriebe vor weitere enorme Herausforderungen.
Zum Seminar nach Grünberg?
„Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.“
Den Widerspruch aufklären
Im erfolgreichsten Volksbegehren der Geschichte Bayerns „Rettet die Bienen“ forderten Anfang des Jahres innerhalb von zwei Wochen fast 1,8 Millionen Menschen ein Gesetz für mehr Umwelt- und Naturschutz.
Drastische Unterschiede
Anfang August ist im Obstbau eine erste Vorabeinschätzung für den Erfolg oder Misserfolg des laufenden Wirtschaftsjahres möglich.
Hallo, liebe Obstbäuerinnen und Obstbauern!
Als neuer Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Obst grüße ich Sie erstmals herzlich.
Für ein starkes Europa
Die Wahl zum EU-Parlament ist auch für den Obstbau von besonderer Bedeutung, nicht nur aufgrund des Brexits und einer noch nicht geklärten Finanzplanung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020.
Zukünftige Verfügbarkeit von Insektiziden im deutschen Obstbau
In dieser Ausgabe von OBSTBAU finden Sie einen Sonderdruck, der sich mit der Verfügbarkeit von Insektiziden für den Obstbau in Deutschland auseinandersetzt.