Regionalität – eine messbare Größe oder nur ein Gefühl?
Seit Jahrzehnten liefert sich der technische Fortschritt ein Wettrennen mit sich selbst, darum können wir uns heute auch Informationsgesellschaft nennen. Je lückenloser wir mit dem Rest der Gesellschaft vernetzt sind, desto mehr wächst in vielen Menschen eine Sehnsucht, die genau das Gegenteil fordert. So erzielen Fernsehformate und Zeitschriften, die sich mit dem schönen Landleben befassen, gigantische Quoten und Auflagen. Und auch der Einkauf im Hofladen bedeutet für viele Konsumenten nicht nur einen Kauf mit gesichertem Wissen über die Herkunft der Nahrungsmittel, sondern gleichzeitig erlebt der Kunde einen Kurzurlaub, einen kurzen Kontakt zur (gefühlten) Ursprünglichkeit. Neben guten Lebensmitteln nimmt der Verbraucher vor allem eines mit nach Hause – ein gutes Gefühl. In den Köpfen und Herzen der Konsumenten ist regionale Ware mit Werten wie Frische, Qualität, Klimaschutz, einer Standortssicherung und einem positiven Lebensgefühl verbunden. Das sind fast identische Gründe, wie sie auch für den Kauf von Bio-Produkten genannt werden.
Lässt sich Regionalität aber definieren, um es gezielt zur Verkaufsförderung einzusetzen? Umfragen haben ergeben, dass die Vorstellung der Befragten von der Größe der Region sehr unterscheidlich sind. Die Spannbreite reicht von der unmittelbaren Umgebung des Wohnortes bis zum Bundesland und vereinzelt auch bis zu den Grenzen Deutschlands. Kern der Regionalität ist aber stets eine transparente, nachvollziehbare Herkunft. Es geht um Authentizität und Glaubwürdigkeit, von der man sich bestenfalls vor Ort selbst überzeugen kann.
Weder die steigende Beliebtheit regionaler noch die von Bio-Produkten sind eigenständige Konsumtrends, von denen der eine den anderen ablöst. Beide sind Ausdruck eines Stimmungswandels in der Gesellschaft und der wachsenden Bedeutung eines fast schon ethischen Kaufverhaltens. Ein schlichtes Unbehagen gegenüber der anonymen Lebensmittelversorgung bildet die Basis für die außerordentliche Wirkung von Regionalität. Wir leben in übersättigten Märkten und haben trotz der immensen Informationsflut nur ein geringes Wissen über die Herkunft unserer Lebensmittel. Deshalb gelten Großunternehmen auch eher als verantwortungslos im Handeln, Natürlichkeit erscheint grundsätzlich gut und Chemie in der Regel eher schlecht. Und eine regionale Landwirtschaft ist stets besser als eine industrielle Landwirtschaft, was auch immer darunter verstanden wird.
Regionalität lässt sich nicht definieren, aber sie ist irgendwie gut. Mit der Verwendung des Begriffes Regionalität lassen sich Geschichten erzählen. Ein Wir-Gefühl entsteht, das Vertrauen wächst und so bildet sich entweder willkürlich oder von Marketinghänden gesteuert eine Strategie gegen schlechtes Gewissen und Unbehagen heraus. Trotz der unaufhaltsamen Entwicklung hin zur Globalisierung auf dem Lebensmittelmarkt gilt auch für uns, die Regionalität noch stärker in den Fokus zu rücken. Denn obwohl die Konsumenten und der Handel sagen, dass eine regionale Herkunft nicht hoch genug zu schätzen ist, geschieht auf dem Obstmarkt oft das Gegenteil. Die Entwicklung hin zu billigen Import-Früchten ist zum Beispiel bei Zwetschen, Himbeeren, Heidelbeeren oder Johannisbeeren deutlich spürbar. Oft steht der Wunsch nach Idealen in krassem Gegensatz zum tatsächlichen Handeln. Dem müssen wir entschieden entgegentreten und vor allem dem Verbraucher erklären, dass wir genau das, was „gefühlsbasiert“ von uns erwartet wird schon immer ein wesentlicher Teil unseres Handelns war. Der Lebensmitteleinzelhandel allein wird die Hände an diesem Punkt nicht rühren.
Regionalität bedarf aus Sicht des Verbrauchers Authentizität und ist außerdem hoch emotional besetzt. Eine geschickte Kommunikation kann die Wahrnehmung des Themas entscheidend beeinflussen und deshalb müssen wir uns als Fachverband dieser Aufgabe widmen. Hier erwartet uns ein langer Prozess, den wir nur gemeinsam mit möglichst allen Interessensgruppen und unter Einbeziehung von entsprechendem Expertenwissen erfolgreich bestehen können.
Jens Stechmann Jörg Disselborg
- Bundesvorsitzender - - Geschäftsführer -
Verwandte Artikel
Editorials
Anwendungsverbot von Glyphosat in WSG faktisch nicht zu begründen
Zur Drucklegung dieser Zeilen wissen wir noch nichts über den Ausgang der Bundestagswahlen am 26. September.
Hochwasserkatastrophe – keine existentiellen Schäden in Obstbaubetrieben
Die verheerenden Schäden durch die Hochwasserkatastrophe ganz im Westen Deutschlands haben kaum vorstellbare Schäden verursacht
Einigung zum Aktionsprogramm Insektenschutz
Parallele Verhandlungen der Agrarministerkonferenz über die Pflanzenschutzanwendungsverordnung und der Ausschüsse Umwelt und Ernährung des Deutschen Bundestages über das Bundesnaturschutzgesetz haben zu einer Einigung zum Aktionsprogramm Insektenschutz geführt.
Der Umgang mit dem Risiko…
…von Schäden durch Blütenfrost, Hagelereignissen und Dürre ist eine der größeren Herausforderungen für den Obstbau.
Licht und Schatten in der Pflanzenschutzmittelzulassung – Captan ist in Gefahr!
Captan ist im Integrierten Obstbau ein zentraler, nützlingsschonender und seit ca. fünfzig Jahren bewährter Wirkstoff, u. a. zur Bekämpfung des Schorfpilzes und von pilzlichen Lagerfäulen.
API – die Entwürfe liegen vor, und nun?
Am 10. Februar hat das Bundeskabinett sich auf die Entwürfe des neuen Naturschutzgesetzes und der Pflanzenschutzanwendungsverordnung geeinigt.
2021 – Was erwartet uns?
Zu Beginn des neuen Jahres ergeben sich auch für den Obstbau wichtige politische Weichenstellungen, auf die sich die Betriebe rechtzeitig einstellen müssen.
2021 – Chancen nutzen!
Eigentlich ist das Jahresende ja gar kein Ende und der Jahresanfang ist auch kein Anfang.
Eine besondere Winter- und Weihnachtszeit – sehen wir uns online?
Die Corona-bedingten Kontaktverbote und -einschränkungen betreffen uns inzwischen alle.
Obstbauseminare der Fachgruppe online!
Was tun, wenn ein Treffen im gewohnten Grünberger Ambiente Corona-bedingt nicht möglich ist, wir aber trotzdem nicht auf Fachinformation und kollegialen Austausch verzichten wollen?