Nettomindestlohn und Bruttomindestlohn – jetzt sind wir alle gefordert!
Wir halten ihn dennoch weiterhin für falsch, weil es Aufgabe der Tarifpartner ist, Löhne zu verhandeln. Denn wir wissen am besten, was unter Berücksichtigung der regionalen und lokalen Umstände machbar ist und was nicht. Politiker sind da oft sehr weit weg. Und doch enthält der schwarz-rote Koalitionsvertrag die eindeutige Aussage, dass zum 1. Januar 2015 ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde eingeführt wird. Im Gartenbau und in der Landwirtschaft gibt es aktuell Tarifverträge, bei denen dieses Mindestlohnniveau bis zum 31. Dezember 2016 nicht erreicht wird. Insofern gilt nach dem Koalitionsvertrag ab dem Stichtag 1. Januar 2017 das bundesweite gesetzliche Mindestlohnniveau. Soweit zur aktuellen Faktenlage.
Im Koalitionsvertrag ist aber auch festgelegt, dass bei der Saisonarbeit mögliche Probleme der Umsetzung berücksichtigt werden. Deshalb hat sich der Präsident des Gesamtverbandes der deutschen land- und fortwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e.V., Martin Empl, in einem Schreiben an Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales (BMAS), gewandt. Ungeachtet dessen, dass der Verband (wie wir auch) ein gesetzliches Mindestlohnniveau weiterhin als einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie ansieht und ablehnt, hat Herr Empl auf zwei Punkte bei der Umsetzung eines flächendeckenden Mindestlohnes hingewiesen:
1. In der Landwirtschaft und im Gartenbau gibt es Tarifverträge, die bis zum Ende des Jahres 2018 laufen. Ab dem 1. Dezember 2017 wird eine Lohnhöhe von 8,50 Euro brutto erreicht. Diese Tarifverträge sollen bis zum Ende ihrer Laufzeit weiter gelten.
2. Es soll ein gesetzlicher Mindestlohn auf Basis eines Bruttostundenlohnes eingeführt werden. Aufgrund der Besonderheiten bei der Saisonarbeit ist es aber notwendig, nicht nur einen Bruttostundenlohn, sondern alternativ auch einen Nettostundenlohn zu bestimmen.
Im gesamten Sonderkulturbereich ist eine Vielzahl von Saisonarbeitskräften beschäftigt. Diese unterliegen entweder deutschem Sozialversicherungsrecht oder dem ihrer Heimatländer. Unterliegen die Saisonarbeitskräfte deutschem Sozialversicherungsrecht, sind sie entweder sozialversicherungspflichtig oder als kurzfristig Beschäftigte sozialversicherungsfrei beschäftigt. Somit beschäftigen Sonderkulturbetriebe gleichzeitig sozialversicherungspflichtige und sozialversicherungsfreie Saisonarbeitskräfte. Dies führt zu unterschiedlich hohen Nettostundenlöhnen. Zur Wahrung des Betriebsfriedens ist es notwendig, dass Saisonarbeitskräfte bei gleicher Tätigkeit einen einheitlichen Nettostundenlohn erhalten. Dieses ist jedoch nicht gegeben, wenn ausschließlich ein Bruttostundenlohn als gesetzlicher Mindestlohn festgelegt wird. Bundesministerin Nahles ist somit aufgefordert, bereits im ersten Referentenentwurf eines Mindestlohngesetzes vorzusehen, dass die bestehenden tariflichen Vereinbarungen in der Landwirtschaft bis zum Ende des Jahres 2018 weiterhin angewendet werden können. Zudem ist es auch notwendig, dass im Gesetz neben einem Bruttostundenlohn auch ein davon ermittelter Nettostundenlohn als gesetzlicher Mindestlohn im Gesetz bestimmt wird.
Unsere aktuell ganz gute Lage ist nicht gottgegeben, sondern hängt an der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe. Die müssen wir uns täglich neu erkämpfen. Das wird von Politikern gern übersehen. Und an dieser Stelle sind wir alle gefordert. Auch Sie sollten jede Gelegenheit nutzen, den Bundestagsabgeordneten in Ihren Wahlkreisen – Ihren Mandatsträgern – die besondere Situation, die besondere Betroffenheit der Obstbaubetriebe zu verdeutlichen.
Bundeskanzlerin Merkel hat postuliert, dass es Deutschland ab 2017 besser gehen wird. Das wird wohl schwierig, aber ausgeschlossen ist es auch nicht. Dazu sollten wirtschaftspolitische Entscheidungen den Fakten und nicht dem allgemeinen Wohlgefallen folgen.
Jens Stechmann Jörg Disselborg
- Bundesvorsitzender - - Geschäftsführer -
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