Enttäuschung dann Wut – mehr deutsche Äpfel als gedacht
Ein weiterer Gastkommentar von Helwig Schwartau, Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI)
Mehr Tafelware als üblich, eine starke Eigenversorgung aus den Hausgärten und ein seit Jahren rückläufiger Apfelkonsum schürten eine pessimistische Grundstimmung bei allen Marktbeteiligten. Blieb nur die Möglichkeit, Äpfel nicht zu ernten oder den Konsum über zahlreiche Aktionen anzukurbeln. Damit wurde eine Preisspirale mit Ladenverkaufspreisen von z. T. unter 50 Cent pro Kilogramm Äpfel in Bewegung gesetzt, die auch Ende Januar noch nicht zum Stillstand kommt. Für einen grundlegenden Aufwärtstrend der Apfelpreise fehlen den Lieferanten weiterhin die Argumente, da sich die Lagervorräte in den überwiegenden europäischen Regionen immer noch auf Rekordniveau bewegen. Andererseits klagen die Discounter und Vollsortimenter über herbe Umsatzverluste und versuchen diese über mehr Marktanteile, dann natürlich auf Kosten der Produzenten, auszugleichen. Mittlerweile ist die Hälfte der Saison vorbei und es besteht wenig Aussicht, das bisherige Desaster noch halbwegs ausgleichen zu können. So ist die pessimistische Grundstimmung aus dem Herbst zum Teil sogar in Wut auf vor Ort „unfähige“ Vermarktungseinrichtungen umgeschlagen oder man zeigt mit dem Finger auf „chaotische Verhältnisse“ in anderen Regionen. Für kostendeckende Preise hätten die Produzenten im Herbst 100.000 t Tafelware aus der Vermarktung nehmen müssen, natürlich mit unterschiedlicher Gewichtung der Regionen. Die Niederelbe verzeichnet eine Rekordernte und hätte wohl 15% seiner Tafelware im Herbst anders lenken müssen, hat aber nur ansatzweise reagiert. Andererseits haben Produzenten aus anderen Regionen schon bei geringeren prozentualen Marktbereinigungen rebelliert. Man kann nur hoffen, dass diese nicht dienlichen Anfeindungen bis zur nächsten Saison in eine sachliche und zukunftsweisende Diskussion umschlagen. Seit der letzten Vollernte mit über 1 Mio. t Äpfel sind fünf Jahre vergangen. In diesem Zeitraum hat sich der Apfelkonsum um 80–100.000 t verringert. Daraus lässt sich ableiten, dass der deutsche Markt auch in Zukunft, das heißt bei einer normalen Produktion, schnell in eine Schieflage geraten könnte. Es gilt, die Apfeleinkäufe zu stabilisieren bzw. den Konsum noch stärker auf die deutsche Ware zu fokussieren. Die Eigenversorgung liegt bei 60 % und ist sicherlich noch steigerungsfähig. Dies beinhaltet, die Zusammenarbeit der wichtigsten deutschen Regionen zu intensivieren und die Importware noch weiter zurückzudrängen. Im Vordergrund stehen hier u. a. gebietsübergreifende Werbemaßnahmen für deutsche Äpfel. Andere Länder wären froh, über einen starken Inlandsmarkt mit über 80 Mio. potenziellen Kunden zu verfügen.
Der Ausbau der Exporte in die expandierenden arabischen und asiatischen Märkte ist wichtig. Teilerfolge werden mit den Sorten ‘Royal Gala’ und ‘Red Jonaprince’ schon erzielt, nur spricht man hier von Nischen. Der Hauptabsatzmarkt bleibt Deutschland und diesen sollte man gemeinsam pflegen.
Als Berufsverband hat die Fachgruppe Obstbau naturgemäß keine direkte Handhabe auf das Marktgeschehen, und das ist auch richtig so. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Marktsituation so schlimm ist. Aber wir würden eine Mitschuld tragen, wenn die Situation so bleibt und wir untätig zugesehen hätten. Wir bemühen uns um gemeinsame Werbemaßnahmen entlang der gesamten Kette, wir bemühen uns um Transparenz und wir werden nicht müde, den direkten Kontakt zum LEH zu suchen. Um den deutschen Markt gemeinsam auszubauen und zu pflegen, nützen Fingerzeige auf den jeweils anderen nichts. Für jeden von uns gibt es Möglichkeiten der Marktgestaltung, in einer Erzeugerorganisation oder als Selbstvermarkter. Deshalb sind zunächst Eigenverantwortlichkeit und dann ein gemeinsames Vorgehen die Gebote der Stunde!
Jens Stechmann Jörg Disselborg
- Bundesvorsitzender - - Geschäftsführer -
Verwandte Artikel
Editorials

Weiter voneinander lernen, weiter aufeinander zugehen…
Der Obstbaubranche geht es nicht gut.

Ansätze zur finanziellen Förderung des deutschen Obstbaus
Im Wettbewerb der europäischen Obstbauregionen sind die hohen und teuren Umwelt- und Sozialstandards für die deutschen Produzenten nachteilig bis ruinös.

„Können wir in diesen Zeiten unseren Kindern noch eine Ausbildung und Betriebsnachfolge im Obstbau empfehlen?“
So lautete die Frage einer Obstbäuerin auf der Mitgliederversammlung eines Landesverbandes vor einigen Wochen.

Ruinöse Erzeugerpreise – was kann der Berufsstand tun?
Traditionell blicken wir an dieser Stelle auf das zu Ende gehende Jahr zurück und versuchen, mit Zuversicht Ideen und Ansätze für Konzepte notwendiger Entwicklungen im Obstbau aufzuzeigen.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat den Obstbau besucht
Nach mehrmaligem Einladen war es am 15. Oktober 2022 soweit.

Über den Winter kommen…?
In diesen Tagen, Anfang Oktober 2022, entscheiden Apfelerzeuger, ob sie ihre Bäume weiter beernten oder die aufwendig produzierten Früchte einfach hängen lassen.

Was tun gegen die Dürre?
Die schwerste Dürre seit Jahrzehnten trifft auch den Obstbau in Westeuropa hart.

Hervorragende Qualität und Menge
Auch wenn der Start der Weichobsternte mit den Erdbeeren insbesondere im Süden mehr als enttäuschend verlief, konnten im weiteren Verlauf der Erdbeer-, Kirsch- und auch der Heidelbeerernte die hervorragenden Mengen und Qualitäten etwas über die explodierenden Produktionskosten, die einbrechenden Preise und die Kaufzurückhaltung unserer Kunden hinweghelfen.

Regionalität verliert gegen Billigangebote
Den dritten Monat in Folge erreicht die Inflationsrate einen neuen Höchststand und liegt nach Angabe des Statistischen Bundesamtes nun bei 7,9 %.

Vorstand spricht mit Vertretern der Regierungskoalition und stellt Forderungen an die Politik
Die Misere des deutschen Obstbaus seit Beginn des Jahres lässt sich chronologisch wie folgt beschreiben:

Luthers Apfelbäumchen
„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“

Zeitenwende – auch für den Obstbau?
Der Überfall der Ukraine markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.