Dem Problem ein Gesicht geben
Eine ohnehin schon schwierige Frage, auf die nie eine einfache Antwort zu finden war.
Heute ist der 24. April, deutschlandweit scheint die Sonne, Väterchen Frost hat vielleicht noch ein Ass im Ärmel, die Erdbeerernte nimmt langsam Fahrt auf, das Stein- und Kernobst blüht oder steht kurz davor – eigentlich ein Saisonbeginn, wie wir ihn kennen. Und doch ist dieses Jahr ein ganz besonderes Jahr. Und wir reden noch nicht einmal vom Sturm Niklas, dem bundesweit zu mildem und regional eher nassem oder teils auch trockenem Winter oder den Dumpingpreisen bei Äpfeln. Wir reden auch nicht über Feuerbrandprognose, Mäusebefall, Botrytisbekämpfung oder Schorfwarndienst. An dieser Stelle meinen wir auch nicht die schwindende Palette der Pflanzenschutzmittel, das mangelhafte Verbrauchervertrauen in unsere Produktion und die gefühlte Willkür im Handeln vieler Behörden uns gegenüber. Uns allen liegt der Mindestlohn schwer im Magen und zusätzliche Kopfschmerzen verursacht die Kirschessigfliege. Die Stimmung im gesamtdeutschen Obstbau ist in Anbetracht der vielen unbekannten und einzelbetrieblich kaum lösbaren Problemstellungen gelinde gesagt „wenig euphorisch“. Doch es ist keine Zeit für Sarkasmus und Galgenhumor – ganz im Gegenteil. Für uns gilt weiterhin: Pflanzen in den Sand stecken, und nicht die Köpfe! Wir ernten, was wir säen.
Wie eingangs schon angedeutet, sind wir in Sachen Mindestlohn und Pflanzenschutz viel unterwegs. Auf Landes- und Bundesebene finden ebenso wie auch auf Kreis- und Betriebsebene viele Gespräche und Diskussionen statt. In Süddeutschland haben viele Kollegen in zwei Großkundgebungen ihre Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. Über die zwingende Notwendigkeit eines Berufsverbandes wollen wir hier nicht diskutieren, denn für uns ist dies selbstverständlich. Aber aus den Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten hier in Berlin und den uns geschilderten Erfahrungen aus den Ländern möchten wir mit diesem Leitartikel speziell im Hinblick auf den Mindestlohn und den Pflanzenschutz eine Quintessenz ableiten: Es gibt Probleme, die für eine umfassende Darstellung mehr als nur das eine Gesicht der Branche brauchen.
Der Deutsche Bundestag besteht in seiner 18. Wahlperiode aus 631 Abgeordneten aus 299 Wahlkreisen. Es gibt 23 ständige Ausschüsse und einer davon ist der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft mit 34 Mitgliedern. Darunter sind viele Abgeordnete, die uns tatkräftig unterstützen. Natürlich gibt es auch diejenigen, die in der Sache nicht unserer Meinung sind. Und dann gibt es eine erhebliche Zahl an Abgeordneten, die uns mit großen Augen anschauen und sagen „Also, das habe ich nicht gewusst…“ oder „Wenn ich das gewusst hätte, dann…“.
Langjährige und erfahrene Bundestagsabgeordnete empfehlen uns derzeit dringend, unseren Problemen mit dem Mindestlohn und der Pflanzenschutzmittelzulassung mehr Gesichter zu geben. Es gibt ausreichend Fälle, in denen wir als Verband mit Fakten für unsere Anliegen argumentieren konnten und damit auch die Rahmenbedingungen für unsere Produktion maßgeblich mitgestaltet haben. Der Mindestlohn und die Regelungen zum Pflanzenschutz haben für uns im Obstbau dem Gefühl nach nichts mehr mit Fakten und Sachargumenten zu tun. Ist unsere Arbeit umsonst, sind unsere Argumente und Informationen von vornherein sinnlos gewesen und haben wir dessen Aussagekraft dramatisch überschätzt? Nein, natürlich nicht. Aber wir müssen jetzt noch was draufsetzen.
Wirkliche Chancen auf Gesetzesänderungen bestehen nicht. Auch eine Demonstration hier in Berlin wird nichts ändern. Aber im untergesetzlichen Bereich, mit Verordnungen, Erlassen und Ministerbriefen, können wir für uns etwas erreichen. Unser Weg muss deshalb die direkte Konfrontation unserer Probleme mit den Abgeordneten direkt vor Ort in den Wahlkreisen sein.
Mit dem Saisonbeginn einher kommen auch Eröffnungen, Hoffeste und viele weitere Veranstaltungen dieser Art. Nutzen Sie diese Veranstaltungen und laden Sie parteiübergreifend die Bundes- und Landtagsabgeordneten Ihres Wahlkreises hierzu ein. Zeigen Sie den Abgeordneten direkt auf Ihren Betrieben, mit welchen Herausforderungen Sie neben der eigentlichen Obstproduktion umzugehen haben. Ihre Landesverbände und wir in Berlin helfen Ihnen gerne bei der Ansprache Ihrer Mandatsträger vor Ort. Wir alle machen hier gemeinsam weiter!
Wir wünschen Ihnen trotz allem oder gerade deswegen eine erfolgreiche Saison 2015!
Jens Stechmann Jörg Disselborg
- Bundesvorsitzender - - Geschäftsführer -
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