Das Thünen-Gutachten: Eine Chance für den Obstbau?
Auch wenn sich nach zwei sehr schwierigen Jahren am Tafelapfelmarkt endlich eine etwas bessere Absatzsituation für die Erzeuger abzeichnet – die konzeptionelle Krise des deutschen Obstbaus bleibt bestehen und ist offensichtlich.
Symptomatisch dafür sind auch die drastisch gesunkenen Ausbildungszahlen für unseren schönen und wichtigen Beruf. So wurden im Jahr 2023 für die Ausbildung zum Gärtner der Fachrichtung Obstbau deutschlandweit nur noch 45 Ausbildungsverträge abgeschlossen – ein Einbruch um 35 % gegenüber dem Vorjahr und damit auch prozentual gesehen ein deutlich stärkerer Rückgang als in den anderen Fachsparten des Gartenbaus.
Das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene und im August dieses Jahres fertiggestellte Gutachten des Thünen-Instituts mit dem Titel „Chancen und Risiken des Obst- und Gemüsebaus in Deutschland“ beschreibt die Situation des deutschen Obstbaus treffend. Ausführlich werden in dem Gutachten die Strukturen und Entwicklungen in Produktion und Absatz dargestellt und ökonomisch bewertet.
Dabei wird wieder einmal deutlich, dass dem Absatz über Erzeugerorganisationen bzw. den Handel eine herausragende Bedeutung zukommt, denn in der Direktvermarktung werden lediglich 5,6 % des in Deutschland produzierten Obstes abgesetzt.
Insgesamt bestätigen die Gutachter, dass besonders die Apfelproduktion im Jahr 2022 nach vielen Jahren schwacher Rentabilität erneut bei Weitem nicht kostendeckend war. Und sie zeigen auf, dass mittlerweile sogar in Betrieben mit bis vor einigen Jahren stabiler wirtschaftlicher Lage und langfristiger Perspektive vielfach akute Liquiditätsprobleme drohen.
Die in den kommenden Monaten ausgezahlte Krisenbeihilfe wird nach Berechnungen des Thünen-Instituts nur etwa 10 % der letztjährigen Einbußen bei der Apfelproduktion kompensieren. Trotzdem bewerten wir diese einmalige Maßnahme als positives Bekenntnis der Politik für den deutschen Obstbau.
Das Gutachten belegt außerdem, dass der Selbstversorgungsgrad bei Obst (natürlich mit jährlichen Schwankungen) bei durchschnittlich nur noch ca. 14 % liegt. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich die langfristig entwickelten und vergleichsweise stabilen Nachfragepräferenzen der Verbrauchenden kurzfristig und massiv zugunsten eines saisonal stark schwankenden Angebots aus heimischer Erzeugung ändern werden. Dabei ist die Präferenz der Verbraucher für heimische Ware beim Gemüse übrigens deutlich höher als beim Obst.
Auf Grundlage einer sogenannten „SWOT-Analyse“ werden in dem Gutachten Handlungsempfehlungen sowohl an die Politik als auch an die Branche selbst abgegeben. In einer vom Bundeslandwirtschaftsministerium initiierten Arbeitsgruppe sollen daraus politisch umsetzbare Maßnahmen formuliert werden. Gemeinsam mit dem Zentralverband Gartenbau sind wir in dieser Arbeitsgruppe vertreten und beteiligen uns intensiv.
Interessanterweise warnen die Gutachter in ihrer Stellungnahme auch vor Maßnahmen, die negative Effekte auf die Branche hätten. Dazu zählt u. a. die politische und angebotsseitige Intervention zur Ausweitung des ökologischen Anbaus, weil diese einen schädlichen Angebotsüberhang zur Folge hätte.
Die zentrale Frage jedoch bleibt, wie die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Unterstützung des deutschen Obstbaus finanziert werden sollen. Im wichtigsten bundesdeutschen Instrument zur Förderung von Landwirtschaft und Gartenbau, der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK), sollen nach Kabinettsbeschluss für das Jahr 2024 fast 400 Millionen Euro eingespart werden. Damit wären die u. a. auch im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele zur Stärkung der Betriebe im ländlichen Raum nicht umsetzbar und die nun von den Gutachtern des Thünen-Instituts konkretisierten Vorschläge obsolet.
Praktisch „kostenfrei“ wäre die nach einer Entscheidung der EU-Kommission zur Verlängerung der Zulassung von Glyphosat fällige Anpassung der deutschen Pflanzenschutzanwendungsverordnung. Die Glyphosat-Behandlung der Baumstreifen mit maximal einem Drittel der Fläche im Integrierten Anbau ist aus ökonomischer und ökologischer Sicht die beste Variante (s. dazu auch den Artikel über entsprechende Versuche auf dem Augustenberg auf Seite 551).
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